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Zurück zu den Wurzeln !!!

Georg "Schorsch" Horz.

„Fußball ist die schönste NEBENSACHE der Welt!"

 

In Anbetracht von Krieg, Flüchtlingen, Erdbeben mit vielen zehntausend Toten, Klima- und Energiekrisen, Krisen im Gesundheitswesen, im Handwerk, innerer und äußerer Sicherheit und noch einiges mehr, steht mir eigentlich nicht der Kopf danach, mich mit der Krise im Fußball - vornehmlich dem deutschen - zu beschäftigen.

 

Weil aber Fußball großer Bestandteil meines Lebens war und ist und er eine große gesellschaftspolitische Bedeutung hat, mache ich es doch.

 

Mein Freund Max Stillger hat sich in seinem Tagebuch mit der deutschen Nationalmannschaft und dem Abschneiden bei der WM 2022 in Katar beschäftigt, in seiner Analyse meiner Ansicht nach aber Ursache und Wirkung verwechselt. Mich überrascht das Ausscheiden in der Vorrunde 2022 und auch 2018 nicht, es spiegelt den tatsächlichen Leistungsstand einer ehemaligen Fußball-Weltmacht wieder, die alles, was sie stark gemacht hatte, zu Gunsten des Profifußballs in die Tonne gekloppt hat.

1956 geboren, habe ich als kleiner Bub in der D/3 mit dem Fußball beim SV/VfL Eschhofen, angefangen. Trainer war Onkel Edgar, das beste Training aber fand jeden Nachmittag auf dem Sport- oder Turnplatz statt. Beide waren ohne Zaun und frei zugänglich. Dort trafen sich Kinder und Jugendliche zum gemeinsamen Kicken. Die Betonung liegt auf gemeinsam.

 

Aufstehen und weitermachen war die Devise

 

Als Kind habe ich mir den einen oder anderen blauen Fleck oder auch eine Schürfwunde im

Zweikampf mit einem älteren und körperlich stärkeren Gegenspieler geholt. Na und, aufstehen und weitermachen war die Devise. Nach Hause kommen und sich bei den Eltern beschweren war ein absolutes Tabu. Dem steht die heutige gesellschaftliche Entwicklung entgegen. Jungs werden in Watte gepackt statt sie zu Männern zu erziehen. Der Fußball, der viele Parallelen zum Leben hat, erfordert auch heute noch Härte gegen sich selbst (nicht nur gegen andere), Durchsetzungswillen und -vermögen, Grenzen überwinden, Teamgeist. Leidensfähigkeit und Leidenschaft waren gefragt und wurden antrainiert. Die Sportstätten waren offen, zudem wurde jede Örtlichkeit, oftmals zum Leidwesen der Anwohner, zum Kicken genutzt. Die Konkurrenz durch andere Sportarten hielt sich mit Turnen und Handball in kleinen Grenzen. Straßenfußballer waren das Produkt der damaligen Verhältnisse. Das war gestern und ist - leider - lange vorbei.

 

Hätte ich Stimmrecht bei der Wahl zum Fußballer des Jahres 2022 würde ich Lena Oberdorf wählen. Ihr habt Euch nicht verhört, Lena hat bei der Europameisterschaft der Frauen das gelebt, was ich mir von unseren Herren in Katar gewünscht hätte. Sie hat Leidenschaft gelebt und mich - eigentlich kein Freund für den Frauenfußball - begeistert. Sie verkörpert das, was einen klasse Fußballer auszeichnet. Sie dürfte bei einem 5 Jahre älteren Bruder, Fußballprofi bei Fortuna Düsseldorf, und einer 3 Jahre älteren Schwester, die in der 2. Bundesliga American Football spielt, durch eine harte Schule / ein Stahlbad fürs Leben gegangen sein.

 

Ich bin von meiner Kindheit abgekommen. In jedem Ort gab es einen Fußballverein. Die Geburtenzahlen gaben her, dass für jede Altersklasse in jedem Verein eine Spielmöglichkeit angeboten wurde. Buben im Überhang wurden in der A/B- oder B/C-Jugend beschäftigt. Jeder Kicker, auch wenn er nicht so talentiert war, hatte seine Einsatzzeiten - und blieb auch „bei der Stange“. Es fanden geregelte Spielrunden statt, in den Spielen wurde man fast immer gefordert und dadurch gefördert.

 

Vor 3000 Zuschauern spielen anstatt vor 7

 

Mir wurde auf diesem Weg durch den Jugendfußball ermöglicht, in der A-Jugend in der höchsten Jugendklasse gegen Eintracht Frankfurt, Kickers Offenbach, Darmstadt 98 und den FSV zu spielen. Das Personal bestand fast ausschließlich aus Eschhöfern und Mühlenern. Voraussetzung für diese Entwicklung waren starke Vereine, in denen sich viele Ehrenamtler engagiert haben.

Dieser sehr starke Unterbau - über den Wert eines starken Fundamentes sollten sich mal Baufachleute äußern - machten Europapokalsiege der Vereine und Welt- und Europameisterschaften unserer (!!!!) der Nationalmannschaft möglich. Das "UNSERER" habe ich absichtlich mit mehreren Ausrufezeichen versehen, ich komme noch mal darauf zurück.

Der starke Unterbau und die Bereitschaft der Ehrenamtler wurden dann vom DFB (und später der DFL) mit System kaputt gemacht. Es zählte nur noch das Geld. Die Nachmittage am Samstag und am Sonntag waren bis dahin dem Spielbetrieb der Jugend und der Amateure vorbehalten. Ich habe es genossen, mit dem RSV Würges in der Hessenliga am Samstag vor 3000 Zuschauern in unserem Camberger Erbach gegen den SV Wiesbaden 3:1 zu gewinnen, gegen die Odenwälder Erbächer waren mittwochs 3500 Zuschauer in Würges. Einfach nur geil.

 

Später, als Jugendtrainer, war ich dann erheblich frustriert, als "meine" C-Jugend am Samstag vor 7 Zuschauern gespielt hat, während 50 Zuschauer im Vereinsheim Bundesligaspiele angesehen haben.

„Wertschätzung“ (der Vereinsmitglieder) für die Jugendspieler heißt das Zauberwort. Wundert Euch nicht, dass dem Fußball von der E/D-Jugend bis zur B/A-Jugend 70 % des Personals von der Stange gehen. Wundert Euch nicht, dass in der vergangenen Saison im Landkreis Limburg-Weilburg 11 Seniorenmannschaften während der Spielrunde in den Sack gehauen haben. Wundert Euch nicht, dass 48 Spiele nicht stattgefunden haben, weil Spielern einer Mannschaft - auch kurzfristig - etwas anderes eingefallen ist. Wundert Euch nicht, dass der Begriff Spielrunde bei der Jugend mehr als ein Armutszeugnis bezeichnet werden muss. Jugendliche bei der Stange zu halten oder zurück zu holen, wäre das Gebot der Stunde. Vielmehr versucht man die erheblichen Defizite mit dem "Niedertiefenbacher Modell" (Entschuldigung Volker Graulich) zu kompensieren. Dabei spielen Ältere bei den Jüngeren mit, die Mannschaft kann dafür nicht Meister werden und / oder aufsteigen. Fordern und fördern ist nicht, Straßenfußballer produziert das auch nicht. Das ist nicht mein Fußball und nicht der Fußball, der uns zurück in die Weltspitze bringt. Wir werden auch 2024 im eigenen Land mit der Vergabe des Europameistertitel nichts mehr zu tun haben.

 

Jahrelang war ich an der Sichtung des nachrückenden Jahrgangs beim DFB-Stützpunkt beteiligt. Das Niveau ist von Jahr zu Jahr gesunken, da half auch hochwissenschaftliches Training in den Vereinen nichts. Das deckt sich mit meinen Wahrnehmungen als Schiedsrichter bei Jugendspielen. Kürzlich war ich vormittags in den Schulferien auf dem Platz. Klasse, dass der Trainer eine Übungseinheit angeboten hat. Scheiße, dass er 15 Minuten einen hochkomplizierten und nicht altersgerechten Parcours aufgebaut und den noch mal 15 Minuten erklärt hat. 28 (von 30) Minuten verlorene Zeit, ein Turnier mit Mannschaften mit wenig Spielern hätte die Kids fußballerisch weitergebracht. 

 

Früher hatten wir noch echte Typen – heute scheint der Friseur wichtiger zu sein

 

Jetzt zu "unserer" Nationalmannschaft. Das Gros der Amateure steht nicht mehr hinter dem DFB, es zählt nur noch das Profitum.

 

Mit Franz Beckenbauer als Familienoberhaupt, haben die deutsche Fußballfamilie und unsere Bürgerinnen und Bürger die Weltmeisterschaft 2006 zu einem bombastischen Fest gemacht. Heute stehen die Menschen nicht mehr hinter der Nationalmannschaft. Bei der Antwort nach dem Warum kommt wieder die Geld- und Profitgier ins Gespräch. Die Herren fahren mit dem Auto eines Sponsors durch enge Alpenstraßen und fahren Fußgänger über den Haufen, verletzen sie. Zu Werbezwecken verleiht man den Titel "Die Mannschaft". Eine Mannschaft ist man – oder halt auch nicht. Der Rasen des Trainingsplatzes in Russland war 2 Millimeter zu lang. Nach Katar soll ein spezieller Friseurstuhl für die Spieler eingeflogen und installiert worden sein. Freunde, Ihr seid 2018 und 2022 doch nur 1 1/2 Wochen in Russland und Katar gewesen. In der kurzen Zeit wachsen die Haare doch nicht so, dass man einen Friseurtermin braucht.

 

Nach der tollen Weltmeisterschaft 2014 in Brasilien hat man total die Bodenhaftung verloren. Wir wollten etwas Besseres sein und haben die Dinge, die uns immer stark gemacht haben, vernachlässigt. Ich schaue Weltmeisterschaften seit 1966 (in England).

 

Über die Turniere nach dem Krieg habe ich gelesen. Unsere erfolgreichen Mannschaften zeichneten bärenstarke und echte Mittelstürmer aus: Ottmar Walter, Uwe Seeler, Gerd Müller, Klaus Fischer, Horst Hrubesch, Rudi Völler, Miroslav Klose, hoffentlich habe ich keinen vergessen, haben mit ihren Toren, Ergebnis einer Mannschaftsleistung, für gute Resultate und teils für begeisternde Spiele gesorgt. Und dann laufen wir nach 2014 mit einer "falschen Neun" auf. Da sollen Leute, die in ihrem Verein auf einer anderen Position spielen und dort gute Leistungen bringen, die Nüsse machen. Ich zahle 3.- € ins Phrasenschwein, Fußball ist insbesondere Ergebnissport, über entsprechende Torerzielungen wird auch guter Fußball geboten.

Wundert Euch Spieler und Herren beim DFB nicht, dass das deutsche Volk nicht hinter Euch steht, die Begeisterung bei EM 2024 wird weit von der bei der WM 2006 entfernt liegen. Bei der Suche nach der Ursache solltet Ihr mal vor der eigenen Haustür kehren.

 

Anderen Menschen auch die Luft zum Atmen lassen

 

Kürzlich war ich als Kreistagsmitglied beim Neujahrsempfang des Limburger Hockeyclubs, der 2023 sein 100-jähriges Jubiläum feiert. Der Präsident des Hessischen Hockeyverbandes hat auch gesprochen. „Der Fußball macht alle anderen Sportarten platt!" Das Fernsehen zahlt viel Geld, um Fußball zu übertragen. Andere Sportarten müssen Geld bezahlen, dass von ihnen mal was im Fernsehen gezeigt wird. Deutschland wurde an diesem Tag Hockeyweltmeister, die 3 letzten Spiele waren an Dramatik, Spannung und Klasse nicht mehr zu überbieten. Ich habe mich, man kennt mich ja als Fußballer, bei dem Empfang geschämt . . .

Dem Präsidenten berichtete ich davon, dass der Profifußball ja noch nicht einmal Respekt gegenüber seinem Familienmitglied Amateurfußball, der weit über 99 % des DFB ausmacht, hat. Zum FAIRPLAY gehört auch, anderen Menschen die Luft zum Atmen zu lassen.

 

Die Ursachen für den momentan desolaten Zustände im deutschen Profi-, aber auch im Amateurfußball habe ich aufgezeigt. Bierhoff absägen und Völler installieren wird nicht dazu führen, dass Deutschland wieder eine Weltmacht im Fußball wird. Trotzdem wünsche ich dem Sympathieträger Rudi Völler viel Glück für eine nicht lösbare Aufgabe.

Geboten wäre, zu dem zurückzukehren, was uns Welt- und Europameisterschaften hat gewinnen lassen. Aufbauarbeit und „Stärkung der Basis“ und „zurück zu den Wurzeln“ ist gefragt. Mein Optimismus auf Einsicht bei den Profispielern, beim DFB + DFL und auch den Landesverbänden geht aber gegen Null.

 

Ich bin am heutigen Sonntag als Schiedsrichter beim Derby Löhnberg gegen Drommershausen unterwegs. Allen Spielern und Vereinen wünsche ich einen erfolgreichen Start in die Rückrunde 2022/23. Habt Spaß und bleibt bei der Stange.

 

Liebe Grüße / Schorsch Horz