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Hey, was los?

Georg "Schorsch" Horz, Foto: privat

"Verarschst Du mich?" Diese Frage habe ich meinem Sohn Lucas zweimal stellen müssen. Er spielt bei Hadamar 2 in der Gruppenliga. Das heißt, er spielte wegen einer Verletzung mehrere Wochen nicht und saß beim Auswärtsspiel seiner Mannschaft in Bleidenstadt erstmals wieder auf der Bank und wurde auch eingewechselt. Mein Anruf kurz nach Spielende galt auch mehr der Sorge um seine Gesundheit. "Alles gut, Vadder", bekam ich zur Antwort, um danach nach dem Ergebnis zu fragen. "9 - 0 gewonnen und wenn wir konsequent gewesen wären, hätten die 15 Stück gekriegt!" "Verarschst Du mich!" nein, er hatte mich nicht verarscht.
Ich erzähle Euch die gleiche Geschichte mit anderen Protagonisten nicht noch einmal. Der andere Protagonist hieß Hellas Schierstein. Die Antwort auf die Frage nach dem Ergebnis - 13 - 2 gewonnen - veranlasste mich zur erneuten Nachfrage, ob er mich verarschen wolle.
Es fällt momentan dem Beobachter der heimischen Fußballszene auf, sehr sehr deutliche Ergebnisse haben zugenommen. Hadamar 2 habe ich erwähnt, Dietkirchen verliert 9 - 0 in Dreieich, 07 gewinnt 7 - 0 in Oberlahn, mit dem gleichen Ergebnis verliert Weyer in Breidenbach. Ich habe mal von der Hessenliga bis zur Kreisliga A Limburg-Weilburg gesichtet, deutliche Unterschiede beim Ergebnis kommen in der Saison 20/21 öfters vor. Früher, als bei den Amateuren das Torverhältnis nicht zählte, es egal war, ob Du 2 - 0 oder 9 - 0 verlierst, konnte ich das ja noch nachvollziehen, dass man das Spiel nach dem 4 - 0 hergeschenkt hat. Aber heute kann Dich 1 Tor Unterschied am Ende der Saison zur Glückseligkeit oder zum Kotzen bringen. Die Ursache bei Hellas Schierstein streife ich nur kurz. Ein Haus ohne sicheres Fundament ist ein sehr wackliges Konstrukt. Ein Verein, dessen Erfolge nur auf eingekauften Spielern beruhen, gerät spätestens dann ins Schlingern, wenn der oder die Sponsoren die Lust an ihrem Spielzeug Fußballverein verloren haben und keine Kohle mehr zur Verfügung stellen. Eine weitere Beobachtung glaube ich gemacht zu haben: die Bereitschaft, sich den Arsch für den Verein aufzureißen, ist bei einem tief im Verein verwurzelten Spieler wesentlich größer als bei dem eingekauften. In der Regel findet sich für den Eingekauften schnell ein Verein, der mindestens die gleiche Kohle zahlt. Hellas Schierstein kann von dieser Ursache ein Lied singen.
Wir leben in Corona-Zeiten. Viele englische Wochen sollen von Verbandsseite dazu verhelfen, schnellstmöglich die Hälfte einer Spielrunde zu absolvieren, um bei einem erneuten Lockdown gerüstet zu sein, die abgebrochene Saison beenden zu können. Die körperliche Belastung für die Spieler ist deshalb immens, die spüre ich sogar bei 3 Spielen in der Woche als Schiedsrichter. Bayern München ist eher die Ausnahme, wenn die Nummer 20 des Kaders zum Einsatz kommt, ohne dass ein Leistungsverlust eintritt. Diese dicken Spielerdecken haben Amateurvereine nicht, der leicht angeschlagene Spieler, der eigentlich mal pausieren müsste, um die Verletzung auszukurieren, muss ran und irgendwann geht gar nichts mehr und der leistungsmäßig schwächere Akteur ist unter den ersten Elf.
Die Politik beschert uns bei der Bewältigung der Corona-Pandemie durch den Förderalismus einen Flickenteppich an unterschiedlichen Vorschriften. Der Fußball will da nicht nachstehen. Beispiel gefällig: in der Bundesliga und in der Kreisliga A Westerwald / Wied, zum Beispiel in Meudt, dürfen 5 Spieler eingewechselt werden, was möglicherweise auch Verletzungen verhindert. Beim Hessischen Fußballverband bleibt es bei 3 Auswechslungen. Dafür dürfen in Hessen ausgewechselte Spieler wieder eingewechselt werden, in Meudt hat der ausgewechselte Spieler definitiv Feierabend und könnte Dusche gehen, er bleibt aber am Spielfeldrand und fiebert mit seiner Mannschaft und feuert sie an.
 
Um zum Ursprungsthema zurück zu kommen. Mir gefällt Fußball, wenn auf dem Platz was passiert. Viele Torraumszenen und viele Tore sorgen für Unterhaltung. Fallen viele Tore auf einer Seite, kommt die nicht zu verachtende Spannung zu kurz. Ein 5 - 4 ist mir deshalb allemal lieber als ein 9 - 0.
Neben den hohen Ergebnissen beobachte ich als weiteres Phänomen auch noch das Nichtantreten. Wahrscheinlich ist dies überwiegend dem vorgenannten Faktor Spielermangel geschuldet. Größter Nutzniesser ist momentan die SG Weilmünster / Laubuseschbach, die auf Platz 2 der Kreisliga A Limburg-Weilburg rangiert. 8 Spiele und 19 Punkte werden der Mannschaft angerechnet, freilich wurden nur 6 Partien ausgetragen. Die Spiele gegen Weyer II und Obertiefenbach gingen wohl deshalb kampflos an SG W/L, weil man des Gegners Wunsch nach einer Spielverlegung ignorierte. Ein Drittel der momentanen Punkte wurden also ohne Gegenwehr erreicht. Ich appelliere an alle: wir müssen zusammenhalten, um möglichst viele Vereine über die Corona-Zeit zu retten, dafür müssen alle Clubs einen Beitrag leisten, die einen, einen größeren und die anderen einen kleineren. Das nennt sich Solidarität.
Hoffentlich machen kampflose Spielwertungen keine Schule. Eine solche habe ich im Pokal der Reserven beobachtet, Niederbrechen II trat gegen Hadamar 2 nicht an. Ein Lob an meine Freunde von der SG Selters, sie - auch personell am Limit - stellen sich heute Abend in Ellar im Pokalendspiel dem übermächtigen Gegner Hadamar 2.. Wobei ich hier kritisieren muss: erstelle ich eine Rangliste der Vereine im Kreis Limburg-Weilburg steht nach Hadamar, Dietkirchen, Waldbrunn, Weyer und Dorndorf die 2. Mannschaft von Hadamar, in der Gruppenliga beheimatet, auf Platz 6. Hat eine solche Mannschaft etwas in der Pokalrunde der Reserven verloren? Der sportliche Wert von Drommershausen 2 (Entschuldigung Andre Bethke) gegen Hadamar 2 ist weniger als 0. Die Funktionäre sollten sich mal Gedanken machen, Hadamar 2 und vielleicht auch Dietkirchen 2 und Waldbrunn 2, beide Kreisoberliga, in der Pokalrunde der 1. Mannschaften mitspielen zu lassen. Im DFB-Pokal geht oder ging es auch, dass die 2. Mannschaften von Bundesligavereinen gleichzeitig mitspielten.
Etwas Positives gibt es aber auch zu vermelden. Diese Woche saß ich erstmals als Beisitzer im Sportgericht. 2 Mannschaften, in der B-Liga beheimatet, können beide dringend Punkte gebrauchen, waren sich trotzdem absolut einig, den sportlichen Weg zu gehen und ein ausgefallenes Spiel auszutragen, statt kampflos für eine Mannschaft zu werten. Dies entlockt mir ein Klasse. Vielleicht frage ich beim Ansetzer nach, ob ich das Nachholspiel als Schiedsrichter leiten darf. 
 
Zum Schluss äußere ich die Hoffnung, dass uns Corona und ein erneuter Lockdown auch beim Fussball keinen Strich durch die Rechnung machen und wir am Sonntagnachmittag unserem Hobby nachgehen können.
 
 
Nie war mein Abschiedsgruß "wir sehen uns auf einem Sportplatz" sehnlicher wie heute. Bleibt gesund. Liebe Grüße.