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Englischer Fußball - Mythen, Fair Play und Gigantomanie

flw24 Kolumnist Claus Coester.

Ibrox Stadium (Glasgow Rangers). Fotos: Claus Coester

East Stand Highbury (Arsenal London).

Altes Stadion White Hart Lane.

Auf dem Kontinent, wie die Briten das europäische Festland nennen, ist der englische Fußball bei vielen Fans beliebt. Und das nicht erst, seit es die Premier League gibt. Fußball auf der Insel hatte und hat für uns Kontinentaleuropäer immer einen magischen Zauber. Wie sehr umgekehrt der europäische Festlandsfußball auf der Insel seine Wertschätzung hat, ist hier nicht das Thema. Sicher gibt es unter den Angelsachsen auch eine Reihe von Sportfreunden, die sich zurecht für Fußball aus Deutschland, Frankreich oder Spanien begeistern können. Und das nicht zuletzt deswegen, weil in den letzten Jahrzehnten viele Fußballer vom „Kontinent“, auch Deutsche, auf der Insel beachtliche Leistungen gezeigt haben und großes Ansehen genießen. Denken wir z.B. an Michael Ballack. Deutsche Namen aus der Vergangenheit wie Franz Beckenbauer, Gerd Müller, Wolfgang Overath oder Uwe Seeler rangieren bei englischen Fans natürlich auch ganz oben. Aber der Fußball auf der Insel muss etwas Besonderes haben.

Mutterland des Fußballs

In England wurde, so heißt es allgemein, unser heutiger Fußball im 19. Jahrhundert erfunden. So kommen naturgemäß die ältesten Fußballklubs überhaupt von der Insel. Der aktuelle Zweitligist (Championship) FC Fulham gilt als der älteste noch aktive Profifußballklub aus der britischen Hauptstadt. Berühmte englische Namen sind im Geschichtsbuch des internationalen Fußballs eingetragen. Beispielhaft stehen Stanley Mathews, Billy Wright, Bobby Charlton, Bobby Moore. Klangvolle Namen aus Urzeiten. Viele haben von der Queen den Titel „Sir“ verliehen bekommen. Klingt irgendwie besser als „Bundesverdienstkreuz“, mit dem bei uns manch berühmter Fußballer ausgezeichnet worden ist. Das Wembley Stadion, das „Wohnzimmer“ des englischen Fußballs, war bis 1953 eine uneinnehmbare Festung. Dann kamen die Ungarn mit ihrer damals anerkanntermaßen besten Nationalmannschaft der Welt und beendeten mit dem Wunderteam um Ferenc Puskas, Sandor Kocsis und Nandor Hidegkuti den Mythos der Unschlagbarkeit im eigenen Land. Die Magyaren demütigten die „Three Lions“ beim 6:3. Ein Jahr später sollten die Ungarn im Wankdorf Stadion ein ähnliches Schicksal wie die Engländer ereilen. Das blaue Wunder von Bern.

Die Stadien auf der Insel

Auf der Insel wurde Profifußball schon immer in reinen Fußballstadien gespielt. Jedenfalls meistens. In den letzten Jahrzehnten ist das bei uns in Deutschland auch so. Das englische Publikum erlebte seit Menschengedenken das Spiel aus nächster Nähe. Man konnte dem Linienrichter fast das Taschentuch reichen. Highbury, Old Trafford, White Hart Lane*, Anfield Road oder Goodison Park, heute größtenteils erneuert oder durch moderne Arenen ersetzt, waren bis in die jüngste Vergangenheit in ihrer Grundstruktur noch erkennbar. 

Archibald Leitch

Vor knapp 100 Jahren war der bedeutende schottische Industriearchtitekt  Archibald Leitch (https://de.wikipedia.org/wiki/Archibald_Leitch) für eine lange Reihe von Stadionbauten verantwortlich. Nach seinen Plänen wurden in Großbritannien große Stadien errichtet. Tribünenbauten in Glasgow (Ibrox) oder London (Highbury) genießen heute Denkmalschutz. Deutliche Spuren der architektonischen Vergangenheit sieht man noch in „Craven Cottage“, dem Heimstadion des FFC, des Fulham Football Club. Die „Feige Hütte“ stellt eine bunte, abenteuerlich-schöne Mischung von uralter Stadionarchitektur mit Elementen aus der Moderne dar. Wer sich davon ein persönliches Bild machen möchte, nehme sich die District Line der London Underground und spaziere von dem Stopp „Putney Bridge“ ein paar Minuten  zur Themse hinunter. Dort grenzt die westliche Haupttribüne unmittelbar am Fluss. Übrigens hatte sich dorthin vor ein paar Jahren als Trainer auch Felix Magath verirrt.

Fair Play, echte Begeisterung und unantastbares Spielfeld

Ein Element, das dem Fußball auf der Insel eine besondere Note gibt, ist die Atmosphäre in den Stadien. Gut, die gibt es auch in deutschen Arenen. Wer nur einmal im Dortmunder Signal Iduna Park gewesen ist und dort die Minuten vor dem Einmarsch der Spieler vor der gelben Wand erlebt hat, konnte sich – im Ohr „You will never walk alone“ - wohl kaum dem Zauber entziehen und bekam auch im heißen Sommer eine Gänsehaut. Aber vergessen wir nicht, dass die Mutter aller Stadion-Hymnen an der Anfield Road geboren wurde.

Das Publikum in England hat sich bis heute sein kindliches Gemüt bewahrt. Ein gelungener Eckball, ein simpler langer Steilpass, ein weiter Flankenwechsel werden frenetisch beklatscht. Pöbeleien gegen Gastmannschaften oder das eigene Team haben kaum Platz. Akteure, die ein Foul begangen haben, machen nicht lange den Unparteiischen an, wie das in anderen Ländern, auch bei uns, eine regelmäßige Unsitte ist. Das Spielfeld ist bekanntlich „untouchable“, ja fast heilig. Ein Zuschauer sollte sich hüten, dieses zu betreten. Die Greenkeeper, die besten ihrer Branche auf der ganzen Welt, werden das verhüten. Für Rassismus und andere beleidigende Verbalattacken hat man in England ein empfindliches Ohr. Festnahme, unfreiwilliges Gewahrsam oder Stadionverbot bis auf Lebenszeit hängen als Damoklesschwerter über bösen Zungen. Der Begriff „Fair Play“ ist ein seit langer Zeit internationalisierter Standard. Auch er hat – selbstredend – seinen Ursprung auf der Insel.

Weitere Bilder zur Kolumne in der Galerie.

*White Hart Lane, Stadion Tottenham Hotspur gehört ebenfalls der Geschichte an und ist abgerissen. Während der aktuellen Bauphase des neuen Tottenham – Stadions (https://noizz.de/news/neues-stadion-von-tottenham-hat-grosste-bar-und-zwei-spielfelder/rdxmpmw) spielen die Spurs im Wembley Stadion.