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„Ich habe mein Hobby zum Beruf gemacht“

Zu Besuch bei Gösta Kiefer im Nachwuchsleistungszentrum von Darmstadt 98

 

Von links: Tobias Schneider, Gösta Kiefer und Dominik Groß.

Im Büro von Gösta Kiefer.

Der Vehaltenskodex für Eltern und Fans.

Der SV Darmstadt 98 ist im Rekordtempo von der dritten in die erste Liga marschiert – und wieder zurück in die zweite Liga. Auf einmal im Konzert der Großen mit München und Dortmund statt vierter Liga, in die die Lilien im Jahr 2013 sportlich abgestiegen waren. Mit der sensationellen sportlichen Entwicklung konnte der Aufbau professioneller Strukturen nicht ganz Schritt halten. Aber es tut sich Einiges bei den Darmstädter Lilien. Auf dem Weg zu mehr Professionalität hilft mit Gösta Kiefer ein guter Bekannter aus dem flw-Land. Als Leiter des Fußballinternates und pädagogischer Leiter des Nachwuchsleistungszentrums leistet er einen wichtigen Beitrag zur guten Jugendarbeit. Wir haben ihn im Nachwuchsleistungszentrum besucht.

Wir schreiben das Jahr 2015: Darmstadt 98 gelingt sensationell der Durchmarsch von der dritten Liga in die Bundesliga. Von dieser Entwicklung ist man im Verein selbst geradezu überrumpelt. Ein Stadion gibt es, in dem gespielt wird, und einen Nebenplatz, auf dem trainiert wird – wenn es das Wetter zulässt. Der VIP-Bereich besteht aus Containern und einer umfunktionierten Turnhalle, in denen die Granden von Bayern München und Borussia Dortmund sich verwundert die Augen reiben. Professionelle Strukturen? Ausbaufähig.

Im Jahr 2017 ist Darmstadt zwar immer noch eine relativ „kleine Nummer“ im Profifußball, trotzdem hat sich seit dem Bundesligaaufstieg Einiges getan – es musste sich auch Einiges tun, um den Anforderungen des Profifußballs und den Regularien der DFL gerecht zu werden. Ein Beispiel: In der Bundesliga schreibt die DFL neun Vollzeitstellen vor für das Leitungsteam, die Trainer, Physiotherapeuten einen Athletiktrainer. Angesichts dieser Anforderungen stießen die Lilien am alten Standort am Stadion an ihre Grenzen und bauten ein neues Nachwuchsleistungszentrum mit höherer Kapazität und mehr Möglichkeiten.

Zwei Kunstrasenplätze und ein doppelstöckiger Containertrakt
Im März 2016 wurde das neue Nachwuchsleistungszentrum (NLZ) schließlich eingeweiht. Es besteht aus zwei Kunstrasenplätzen und einem doppelstöckigen Containertrakt – wie es sich für Darmstadt gehört, möchte man fast sagen. Die Container sehen spröde aus, sind sehr zweckmäßig und verbreiten nicht gerade das Flair von Bundesligafußball. Trotzdem bietet das NLZ der Nachwuchsarbeit des SV Darmstadt 98 ganz neue Möglichkeiten: Auf beiden Plätzen sind Videoanalysen durch Kameras an den Flutlichtmasten möglich, im Containertrakt gibt es neben Büros, Umkleidekabinen und Besprechungsräumen auch die Möglichkeit, dass die Nachwuchskicker direkt nach der Schule mit pädagogischer Unterstützung ihren schulischen Pflichten nachkommen können.

„Schule geht vor“
Dass der Nachwuchs der Lilien seinen schulischen Pflichten nachkommt, darauf hat ein alter Bekannter aus unserem Fußballkreis ein wachsames Auge: Der gebürtige Kubacher Gösta Kiefer ist pädagogischer Leiter des Nachwuchsleistungszentrums und gleichzeitig Leiter des Fußballinternats der Darmstädter, das Anfang Juli 2017 in Betrieb genommen wurde. Diese Aufgaben übernahm er am 1.7.2017 mit dem Ziel, der Mission der Darmstädter gerecht zu werden. „Die sportliche Ausbildung und Entwicklung ist nur eine, wenn auch die wichtigste, Säule unseres Ausbildungskonzepts“, erklärt Gösta. „Die zwei anderen Säulen sind die schulische und berufliche Ausbildung und die Persönlichkeitsentwicklung.“ Gösta, der parallel zu seiner Tätigkeit bei Darmstadt 98 die SG Weilmünster/Laubuseschbach in der B-Liga trainiert, stellt also sicher, dass die schulischen Leistungen nicht (zu sehr) unter den sportlichen Aktivitäten leiden. „Es ist für uns wichtig, unseren Spielern zu ermöglichen, die Balance zwischen Schule und Leistungssport zu halten“, stellt er klar, „denn nur fünf bis zehn Prozent der Spieler im Nachwuchs der Bundesligamannschaften schaffen den Sprung in eine der ersten vier Ligen.“

„Ich kann alles von Grund auf mit aufbauen“
Als Schnittstelle zwischen Schulen, Eltern und Trainern unterstützt der 35-Jährige die Spieler, denen der Traum vom Profifußball viel abverlangt: „Was die Jungs leisten müssen, ist enorm. Fünf bis sechs Mal Training die Woche auf dem Platz, zwei bis drei Athletikeinheiten, dazu Schule und die Fahrerei zu ihren Wohnorten.“ Auch ihm selbst verlangt sein Job Einiges ab, denn im Endeffekt steht er an sieben Tagen in der Woche rund um die Uhr als Ansprechpartner für Spieler, Trainer, Eltern oder Physiotherapeuten zur Verfügung. Das empfindet er allerdings nicht als Belastung, denn „für mich ist dieser Job wie ein Sechser im Lotto: Ich habe mein Hobby zum Beruf gemacht und kann dadurch, dass bei uns noch Vieles in den Kinderschuhen steckt, alles von Grund auf mit aufbauen. Das ist eine unglaublich spannende Aufgabe.“

Nachhilfe oder Praktikumsplatz organisieren
Zu dieser Aufgabe gehört zum einen der regelmäßige Austausch mit den Trainern der Nachwuchsmannschaften, damit diese im Bilde sind über eventuelle Schwierigkeiten der Spieler neben dem Platz. Zum anderen trifft Gösta sich regelmäßig mit den Ansprechpartnern der Partnerschulen von Darmstadt 98, um über die schulischen Leistungen informiert zu sein und bei Bedarf frühzeitig gegensteuern zu können. „Es gehört also auch schon mal dazu, für einen Spieler Nachhilfe zu organisieren“, führt Gösta aus. „Oder ich helfe den Jungs bei der Suche nach einem Praktikumsplatz – auch hierfür haben wir ein Netzwerk an Partnerbetrieben, die die Bedürfnisse unserer Jungs kennen, gerade was die zeitliche Flexibilität angeht.“ Bleiben zu guter Letzt die Eltern sowie natürlich die Spieler selbst, mit denen der studierte Sozialarbeiter ständig Kontakt hält.

„In der kurzen Zeit haben wir schon Einiges bewegt“
Dieser gute Kontakt ist vor allem wichtig bei den acht Spielern im Alter von 14 bis 18 Jahren, die aktuell im Fußballinternat des SV Darmstadt 98 wohnen und dementsprechend dauerhaft fern ihrem Zuhause sind. Das Internat liegt in der Stadtmitte liegt, einige Minuten vom NLZ entfernt. Neben seiner Tätigkeit als pädagogischer Leiter fungiert Gösta als Leiter des Internats und erzählt stolz: „Vor Kurzem wurden die Internate der Bundesligavereine im Auftrag der DFL zertifiziert und wir haben das beste Ergebnis aller Internate der deutschen Profivereine erzielt – in der kurzen Zeit haben wir also schon Einiges bewegt.“

„Ziel ist natürlich, dass der Lilien-Nachwuchs dauerhaft Bundesliga spielt“
Die Messlatte, die nun für die Zukunft gelegt wurde, ist also hoch. Sich an höchsten Maßstäben zu messen, ist jedoch auch das Ziel der Darmstädter: „Ziel des Internats und des NLZ ist natürlich, dass der Lilien-Nachwuchs dauerhaft Bundesliga spielt. Bei der U17 und der U19 sieht es aktuell ganz gut aus, dass der Aufstieg in die Bundesliga gelingen kann.“ Auch Trainer Torsten Frings gibt sich regelmäßig die Ehre und schaut sich die Spiele des Nachwuchses an. Denn das Ziel all der Mühen ist freilich, dass vom Nachwuchs der eine oder andere Spieler den Durchbruch schafft und die Profimannschaft des SV Darmstadt 98 Spieler aus der eigenen Jugend rekrutieren und somit dauerhaft Spieler in den Profikader einbauen kann, die die Nachwuchsausbildung des SV Darmstadt 98 durchlaufen haben.

„Das ist allerdings noch Zukunftsmusik, da wir mit dem NLZ sozusagen noch in den Kinderschuhen stecken. Was nicht verwunderlich ist, denn es wird häufig vergessen, dass der Verein Darmstadt 98 nach langer Durststrecke erst im vierten Jahr wieder im Profifußball zuhause ist.“ Aber wie man sieht, tut sich viel bei Darmstadt 98 und die Strukturen werden immer professioneller. Auch dank der Mitarbeit von Gösta aus dem flw-Land, der mithilft, dass die professionelle Nachwuchsarbeit der Lilien den Kinderschuhen entwächst – und im Zuge dessen auch den Containern.

Wir wünschen weiterhin viel Spaß bei der Aufgabe, dem SV Darmstadt 98 viel Erfolg und danken dafür, dass wir dich vor Ort besuchen konnten, lieber Gösta!