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„Ich musste mich ganz auf meine Hände verlassen“

Interview mit dem Diezer Sportphysiotherapeuten Ulrich Becker

flw24 Redakteur Tobias Schneider mit Uli Becker. Foto: flw24

Uli´s Urkunden.

Uli Becker (rot eingekreist) im ZDF SportStudio mit der Hockey Nationalmannschaft.

Einmal Olympiasieger bei drei Olympiateilnahmen, 478 Hockeyländerspiele, 18 Jahre Teil der Hockeynationalmannschaft – allerdings nicht als Sportler, sondern als Physiotherapeut. Die Rede ist von Ulrich Becker aus Diez, der in den letzten 40 Jahren auch unzählige Fußballer im Kreis behandelte. Erfahrt im Interview mit Ulrich, warum er am liebsten im Dunkeln arbeitet, wie er zur Hockeynationalmannschaft kam, warum er der „Meister des Tapeverbandes ist“ und was das „6x6 des Aufwärmens“ ist.

Als uns Uli Becker in sein Haus bittet zum Interview, denken wir beide gleich „Oha, ziemlich dunkel hat er’s hier“, da ertönt von hinten schon Ulis Stimme: „Wundert euch nicht, dass es hier so dunkel ist – ich bin sehr lichtempfindlich.“ Neben seinen heilenden Händen kann er also anscheinend auch ein bisschen Gedanken lesen. Anschließend erklärt er uns den Grund für seine Lichtempfindlichkeit: Er ist fast blind seit seiner Geburt im Jahr 1943 in Diez. Eine ziemliche Einschränkung, möchte man meinen. Doch Uli hat seine Sehschwäche nie von etwas abgehalten. Im Gegenteil, für seine Berufung als Physiotherapeut war sie vielleicht sogar von Vorteil, „weil ich mich ganz auf meine Hände verlassen musste“.

Physio der Hockeynationalmannschaft als Nebenjob

Begonnen hat er als Masseur, bildete sich schließlich weiter zum Sportphysiotherapeuten. Der Kontakt zur Hockeynationalmannschaft kam durch einen Zufall zustande, denn als das Nationalteam im Jahr 1976 in der damaligen Hockeyhochburg Limburg trainierte, hatte der etatmäßige Physiotherapeut Hans-Jürgen Montag keine Zeit. „Also fragte man mich, ob ich nicht dazukommen könne“, erzählt Uli, der damals im Diezer Krankenhaus angestellt war. Er kam dazu – und ging nicht mehr. Die Spieler und Funktionäre waren von seiner Behandlung so angetan, dass er dauerhaft ins Team aufgenommen wurde – neben seiner Tätigkeit im Krankenhaus. „Das war natürlich spannend für jemanden, der sonst im Krankenhaus im Keller arbeitete“, führt Uli lachend aus.

Goldmedaille in Barcelona als Höhepunkt

Zu drei Olympiaden begleitete er die Herrenhockeynationalmannschaft: 1984 in Los Angeles war er dabei, in Seoul 1988 und in Barcelona 1992, wo Uli mit dem Team die Goldmedaille feiern durfte. Die Betreuer bekamen damals zwar keine eigene Goldmedaille, aber die Spieler ließen zum Dank für Uli eine Kopie der Goldmedaille anfertigen, die er uns stolz zeigt. Bei insgesamt 478 Länderspielen betreute er die Herren- und Damennationalmannschaft über einen Zeitraum von 18 Jahren. „Dann wurde es Zeit aufzuhören, denn die Belastung merkte ich schon“, gibt Uli offen zu.

Denn er hatte ja nach wie vor seine Stelle im Diezer Krankenhaus. Die behielt er auch weiterhin, nahm jedoch einen neuen Nebenjob als Seminarleiter für Tapeverbände an. „Dabei habe ich interessierte Ärzte darin geschult, Verbände anzubringen – bei unzähligen Verbänden, die ich selbst im Jahr anbrachte, wusste ich ja, wovon ich spreche“, erklärt er augenzwinkernd. Die Seminare hielt er deutschlandweit und schaffte es immer, alleine von A nach B zu kommen, obwohl er kaum etwas sehen konnte. Eine bemerkenswerte Leistung. Einmal verschlug es Uli sogar nach China. „Dort habe ich eine Woche lang den Physiotherapeuten des chinesischen Fußballverbandes geschult“ – die Begeisterung in seiner Stimme macht deutlich, dass dies etwas ganz Besonderes für ihn war.

Das „6x6 des Aufwärmens“

Durch seine Tätigkeit für die Hockeynationalmannschaft erlangte Uli im Kreis eine gewisse Bekanntheit, sodass immer mehr Sportler zur Behandlung zu ihm ins Diezer Krankenhaus kamen, vor allem immer mehr Fußballer. In den Gesprächen stellte er fest, dass es in Sachen Aufwärmen noch reichlich Nachholbedarf gab in den heimischen Fußballvereinen. Das nahm er zum Anlass, das sogenannte „6x6 des Aufwärmens“ zu entwerfen: „Erst läuft man sechs Minuten, dann macht man sechs Minuten läuferische Übungen wie Anfersen usw., anschließend führt man sechs Dehnübungen durch. Darauf folgen noch drei dynamische Übungen wie sechs Sprünge, sechs Antritte mit sechs Schritten oder auch sechs Minuten Spiel.“ Dieses Konzept hat er in mehr als dreißig lokalen Vereinen vorgestellt, die das Konzept teilweise aufnahmen. „Dadurch lernte ich natürlich noch viele weitere Spieler kennen.“

„…und die Schmerzen waren weg.“

Die Tapeverbände haben sich in den letzten vierzig Jahren nicht wesentlich geändert – aber selbst ein Tapeguru wie Uli lernt nicht aus. „Vor zehn, zwölf Jahren hatte ich Rückenprobleme, die über eine Woche nicht nachließen. Dann hat mir eine Kollegin erzählt, dass sie mir mal ein Tape machen könnte. Sie legte das Tape an und die Schmerzen waren weg. Wie sich herausstellte, war das ein Kinesiotape.“ Das Kinesiotape ist sicher mittlerweile jedem Fußballer im Kreis ein Begriff und auch Uli schwört auf das elastische Tape. „Es ist eine tolle Möglichkeit, die Funktion des Muskels zu erhalten, ihn aber gleichzeitig so zu unterstützen, dass nichts wehtut.“

Dass ihm nichts wehtut, darüber freut sich Uli heutzutage ganz besonders, denn mit fast 74 Jahren ist das nicht selbstverständlich. „Und dass ich heute noch jungen Menschen helfen kann und ihnen was zu ihren Schmerzen und Verletzungen erzählen kann, das ist doch toll, oder?“

Das ist es in der Tat und wir hoffen, dass das noch so lange bleibt. Vielen Dank für das Interview, lieber Uli, und dass du noch viele Verbände anlegen kannst!

Ihr habt Probleme/Schmerzen und wollt einen Termin bei Uli machen? Telefon 06432/7910.