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Verdammt lang her – Claus Coester greift in die Klamottenkiste

Müngersdorfer Stadion Köln 1923-1974. (Foto: privat)

Von Kartoffeln und Kölner Keller

Verdammt lang her – Claus Coester greift in die Klamottenkiste

 

Kampfbahn vs. High-Tech-Arena

Vergleicht man die Rahmenbedingungen, unter denen vor 60 Jahren und länger die Fans in die Stadien strömten mit denen von heute, dürfte man sagen: „Dazwischen liegen Welten.“ Das trifft in vielerlei Hinsicht zu. Die Stadien waren vor einem halben Jahrhundert  „Kampfstätten“ und trugen tatsächlich ähnlich klingende Namen: „Kampfbahn Rote Erde“ in Dortmund, „Glückauf-Kampfbahn“ in Schalke, beim 1. FC Köln  sprach man einfach vom „Müngersdorfer Stadion“, benannt nach dem westlichen Kölner Stadtteil  an der Aachener Straße. Sterile Namen wie „Allianz-Arena“ und „Signal-Iduna-Park“ mussten erst noch erfunden werden. Damalige Spitzenfußballer – noch in den 1960er und 1970er Jahren -  verdienten Almosen im Vergleich zu heutigen Zweit-Liga-Kickern.

 

Müngersdorf mit größter Sportanlage Deutschlands bis zum Bau des Olympia-Stadions in Berlin

In Köln war die riesige Sportanlage in den 1920er Jahren  gebaut worden, als der spätere Bundeskanzler Konrad Adenauer in seiner Heimatstadt Oberbürgermeister war. In seiner Amtszeit erhielt die rheinische Metropole mit Grüngürtel, Aachener Weiher, Messegelände und Ford-Werken ein modernes Gesicht und eben einen riesigen Sportpark. Köln erhielt die Deutsche Sporthochschule, die bis heute bedeutendste in Deutschland. All jene, die einmal eine Bundesligamannschaft trainieren möchten, müssen hier ihren Fußball-Lehrer machen. Übrigens hieß das Hauptstadion im Ortslageplan ebenfalls „Hauptkampfbahn“, die dann nach der Gründung des 1. FC Köln im Jahr 1948 zur Heimstatt des FC wurde. Der viel ältere Ortsrivale Preußen Dellbrück, der rechtsrheinisch auf der „Schäl Sick“ beheimatet war und dann zu „Viktoria Köln“ mutierte – heute in der Dritten Liga – trug seine Heimspiele später in der heute nur noch rudimentär existierenden „Radrennbahn“ aus. Als Fortuna Köln sich entfaltete, spielte dieser Verein ebenfalls dort. Heute tragen diese beiden Klubs - der eine im rechtsrheinischen „Sportpark Höhenhaus“, der andere im linksrheinischen „Südstadion“ - ihre Heimspiele aus.

 

Fußballer vom anderen Stern in Müngersdorf

Im Müngersdorfer Stadion erlebte der Chronist  im Alter von 11 Jahren sein erstes Spiel im Stadion überhaupt. Ausgerechnet der damals und heute berühmteste Klub mit dem magischsten Namen,  den der Fußball kennt, gastierte am 13. August 1960 – exakt ein Jahr vor dem Mauerbau, von dem niemand etwas ahnte - zu einem Freundschaftsspiel am Rhein. Wie der allgewaltige FC-Präsident Franz Kremer, dessen kluger Vision wir die Bundesliga verdanken, es geschafft hatte, die „Königlichen“ aus Madrid, die man später auch die „Galaktischen“ nennen würde, nach Müngersdorf zu locken, ist sein Geheimnis geblieben. Die Madrilenen hatten ein paar  Wochen zuvor im Hampden Park zu Glasgow vor 130.000 Zuschauern zum fünften Mal in Folge die Champions League gewonnen. In ihren Reihen standen mit Santamaria, di Stefano, Puskas und Gento Ballartisten, an denen die Kölner Fußballer wie der Weltmeister Hans Schäfer, Georg Stollenwerk und Leo Wilden, sämtlich Nationalspieler, wie zu Göttern aufschauten. Vor 50.000 Zuschauern zelebrierte die spanische Weltauswahl vor den Augen von Bundestrainer Sepp Herberger ihre Fußballkunst. Dass die gute Geißbockelf am Ende lediglich 4:5 unterlag, ist der offenen Unterhaltungsshow des weißen Balletts zu verdanken. Acht Wochen zuvor hatte die Elf um Don Alfredo di Stefano den deutschen Meister Eintracht Frankfurt in Schottland im legendären und bis dato torreichsten Finale der CL mit 7:3 vom Platz gefegt.

 

Bodenständigkeit vs. Sterilität

Fußball damals war Stadionbesuch, ein Würstchen an der Bude. Münzen wanderten über den Tresen. Heute betritt man eine High-Tech-Arena, leistet sich vielleicht eine Dauerkarte. Man holt sich auch sein Bier und einen Imbiss, begleicht aber mit dem Smartphone. Damals riss der Kontrolleur die Eintrittskarte ein, damit war sie entwertet und man hatte die einzige Barriere zu seinem Stehplatz geschafft. Man stapfte ein paar Stufen den Erdwall hoch und suchte sich dann in der Südkurve irgendwo sein Plätzchen auf dem Lehmboden. Nach dem Abpfiff sprangen Kinder und Jugendliche über die kleine Absperrmauer und klopfte den Idolen auf die Schulter. Heute wird das Ticket gescannt, man wird abgetastet, dann wird man automatisch auf seinen nummerierten Sitzplatz geschleust. Das Spielfeld ist nach wie vor rechteckig, der Rasen meistens grün, der Ball noch immer rund. Ein Spiel dauert meistens 90 Minuten. Die Spielleitung lag damals in den Händen des Schiedsrichtergespanns. Headset und vibrierende Manschette um den Oberarm standen noch nicht einmal im Wörterbuch. Heute tanzt um das Spielfeld ein ganzes Heer von DFB-Beobachtern. Den „Kölner Keller“ gab es damals noch nicht. Keller gab es in Köln schon. Doch damals glotzten dort noch keine Experten auf Monitore und beschäftigten sich nicht mit kalibrierten Linien, führten kameratechnisch noch keinen Spucknachweis. Spieler bangten oder hofften noch nicht auf ein technisch ermitteltes oder doch nicht ermitteltes Tor. Verzögerte Torschreie waren noch nicht geboren. Damals lagerten in Kölner Kellern Kartoffeln. Daraus machte man leckere Gerichte. Die „Bläck Fööss“ sangen: „Mamm, Mamm, schnapp d‘r de Pann, mir wolle Rievkooche han“.