Anzeige

Das Spiel mit der Entwicklung

flw24-Kolumnist Michael von Kunhardt

Entwicklung hat immer etwas mit der Bereitschaft zu scheitern zu tun und somit es zunächst eine prinzipielle Entscheidung, sich dieser Situation des möglichen Misserfolgs überhaupt freiwillig und somit einem Wettkampf auszusetzen: dem Wettkampf mit der Konkurrenz und dem Wettkampf mit sich selbst. Alle erfolgreichen Sportler haben sich an irgendeiner Stelle ihres Lebens dazu entschieden, sich zu stellen und sich zu messen. Das ist die Grundvoraussetzung für Entwicklung.

Auch die ersten 3 Platzierten der Wahl zum Weltfußballer mit Ronaldo, Messi und Griezman sind nicht nur von einem überragendem Talent gesegnet, sondern müssen dieses ganz starke Verlangen und Streben nach sensationeller eigener Entwicklung in sich tragen, sonst wären sie nicht die Speerspitze der aktuell besten Fußballer der Welt.

Schauen wir uns das Thema Entwicklung inklusive einer kurzen Auffrischung möglicherweise verschütteter Mathematik-Begriffe :-) einmal grafisch an:

Auf der Y-Achse beider Grafiken ist die Anforderung durch eine Aufgabe, ob quantitativ oder qualitativ, abgebildet. Auf der X-Achse ist der Grad der eigenen Fähigkeit dargestellt.   

Wenn die Anforderung durch eine Aufgabe/Situation, die an einen Fußballer gestellt wird, deutlich höher ist als es die eigenen Fähigkeiten sind, die zur Bewältigung dieser Aufgabe benötigt werden, dann entsteht Stress. Wenn dieser Zustand, der sich immer links oben vom Flow-Kanal befindet, zu lange an hält, läuft der Spieler Gefahr sich zu verletzten oder gar einen „Burn-Out“ zu erleiden. Im umgekehrten Fall wäre eine permanente Unterforderung, rechts unten vom Flow-Kanal, an den Fußballer mit dem Einsetzen von Langeweile verbunden, der dann schließlich in den sogenannten „Bore-Out“, eine ungesunde Unterform des „Burn-Outs“, enden kann, der dann nicht selten mit dem unbedingten Wunsch, den Verein zu wechseln, verbunden ist.

Immer dann, wenn Anforderung und Leistungsfähigkeit sich auf gleichem Niveau begegnen, ist Adrenalin im Spiel. Dort macht es den meisten ambitionierten Sportlern Spaß, sich zu engagieren. Die Aufgabe ist herausfordernd und man kann sie eben doch noch bewältigen.

Die eigentliche Entwicklung findet immer links oben vom Flow-Kanal statt, dort wo zugleich die Burn-Out-Gefahr lauert. Immer dann, wenn wir uns aus unserer Komfortzone heraus trauen und uns als Spieler oder Team einer Herausforderung stellen, deren Anspruch größer als die aktuellen eigenen Fähigkeiten ist, dann haben wir überhaupt erst eine Chance auf Entwicklung. Das kann im Fußball die Übernahme von zusätzlicher Verantwortung auf dem Platz als Spieler sein, es kann das Pokalspiel gegen ein Team sein, das 2 Klassen höher als das eigene spielt, das kann die neue Herausforderung eines Trainers in einer am Boden liegenden Truppe sein oder das erstmalige Durchsetzen als neuer Spieler im Kampf um einen Stammplatz in einem funktionierenden System, um nur einige Beispiele zu nennen.

Und jetzt kommt ein ganz entscheidender Aspekt dazu, damit eine Entwicklung auch gesund verlaufen kann. Der Aufenthalt links oben vom Flow-Kanal muss zeitlich unbedingt begrenzt sein. Es gilt nämlich, nach dem Aufenthalt im „unbekannten Land“ immer wieder in den Flow-Kanal zurückzufinden, sich dort wieder zu stabilisieren, wo man sich angemessen gefordert fühlt und Erlerntes stabil anwenden kann, um dann den nächsten Entwicklungsschritt mutig zu starten. Ebenfalls ganz wichtig ist der ebenfalls temporär begrenzte Aufenthalt im rechten Bereich unter dem Flow-Kanal, um in Trainings- und Spielpausen oder Urlaubszeiten ganz bewusst mal von der Entwicklungspower loszulassen und sich zu regenerieren.

Die Kunst dieses Zusammenspiels und der geeigneten Mischung der einzelnen Aufenthaltsbereiche beeinflusst ganz entscheidend die sportliche Entwicklung.

Dass ein Verein wie Bayern München einen Spieler wie Robert Lewandowski mit einem herausragenden Gehalt weitere 5 Jahre fix an sich bindet, hängt auch mit dem Vertrauen in den Spieler bezüglich eines achtsamen Umgangs mit sich selbst zusammen, der wiederum erst eine stabile Basis für eine anhaltende stetige Entwicklung darstellt.

In dem nächsten Schaubild lassen sich nun die weiteren Emotionen der einzelnen Zustände der jeweiligen Situationen entsprechend des ersten Schaubilds erkennen.

Als Spieler und Trainer haben wir stets darauf zu achten, dass wir entsprechend möglicher Mangelgefühle einen Gegenpol zu setzen haben. Wenn ein Spieler für das nächste Spiel beispielsweise extreme Unsicherheit und somit sogar Angst verspürt, dann gilt es, sich mit dieser Unsicherheit unbedingt mutig zu konfrontieren und diese gezielt zu bearbeiten (z.B. durch mentales Coaching) oder zumindest als Minimalmaßnahme bewusst Sicherheit in anderen Bereichen gegenüber zu stellen.

Das Schaubild dokumentiert auch, dass Entwicklung immer etwas mit Aufregung zu tun hat. Es ist also völlig in Ordnung, wenn ein Spieler , eine Spielerin vor dem nächsten Ligaspiel eine Aufregung verspürt. Dadurch entsteht Entwicklung.

Fazit

Immer wieder mal nach links oben aber nicht zu lange und zudem Pausen klug setzen.

Als im wesentlichen recht neutraler Betrachter der Fußballszene (die Geburtsstadt München spielt hierbei hinsichtlich des Interesse – und Sympathiefaktors des Mental-Kolumnisten persönlich zugegebenermaßen schon eine gewisse Rolle ) ist bei Teams wie Köln, Hoffenheim, Leipzig und Frankfurt auffällig, dass sich diese Teams alle schon seit Monaten in einer sportlich guten bis sehr guten stabilen Entwicklung befinden. Und dabei wird eben auch das oben dargestellte Spiel mit Anforderung und Fähigkeiten sehr gut gemeistert .

Ich wünsche allen FLW24-Lesern und Fans ein geschicktes Ausloten der eigenen Entwicklungs – , Flow - und Loslassbedürfnisse über die Festtage und einen grandiosen Start in 2017.

Bis zur nächsten Kolumne - wir lesen uns !

Herzlichst und sportlichst

Michael von Kunhardt