Anzeige

Wenn Tribünen erzählen

Nach 100 Jahren noch immer wehrhaft: die Holztribüne auf der Westkampfbahn in Düren. (Fotos: Claus Coester)

Von Deutschlands ältester Holztribüne in Dürens Westkampfbahn

Was hat sie nicht alles an Fußballschlachten erlebt, Deutschlands noch intakte älteste Holztribüne? Im niederrheinischen Düren zwischen Köln und Aachen bekommt sie an der Mariaweilerstraße im 101. Jahr ihr Gnadenbrot.  Festgemauert steht sie seit dem Kriegsjahr 1914 in der Westkampfbahn, dem Stadion der traditionsreichen, heute in einer Fusion mit anderen ortsansässigen Klubs aufgegangenen SG Düren 99.

Besondere Matches

Viele große Spiele von 99, wie der Club in der Region allgemein genannt wurde, hat dieses Stadion, das für rund 12.000 Zuschauer angelegt war, in den 1950er und 1960er Jahren gesehen, lange in der zweiten Liga West und dann, als der Verein drittklassig wurde, in der Verbandsliga Mittelrhein.

Den Königsplatz unter vielen Highlights nimmt das DFB-Pokalspiel gegen die Roten Teufel des 1. FC Kaiserslautern ein, die wenige Wochen nach dem Wunder von Bern mit den gerade gekürten Weltmeistern Fritz und Ottmar Walter, Werner Liebrich, Werner Kohlmeyer und Horst Eckel dem Zweitligisten beim 5:2 das Nachsehen gaben. 15.000 Besucher sind es gewesen, davon etliche auf den das Stadion einfriedenden Bäumen. Viele, die keinen Einlass gefunden hatten, erlebten das Spektakel von dem benachbarten hochgelegenen Bahndamm, über den heute die Hochgeschwindigkeitszüge von Köln nach Brüssel oder Paris vorbeirauschen.

Autochthone Fußballprominenz

Im fünften Jahrzehnt des vergangenen Jahrhunderts lernte der junge Karlheinz Schnellinger, Dürens berühmtester Fußballsohn, hier das Fußballspielen. Der Gymnasiast, der später die Schule schmiss, radelte jeden Nachmittag zur Westkampfbahn, den Ball auf dem Gepäckträger, und trainierte für sich alleine und anschließend mit den Vertragsspielern. Sepp Herberger hatte den 18jährigen Rotschopf schon lange im Notizbuch stehen und berief ihn bald noch als Zweitligaspieler 1958 in den WM-Kader für Schweden, wo er auch zum Einsatz kam. Dass Schnellingers Weltkarriere hier an der Rur, dem Fluss, der die Stadt durchquert, begann und ihren Gipfel beim AC Mailand fand, ist fast in Vergessenheit geraten. Ein anderer, älterer Sohn Dürens, Georg Stollenwerk, der Teilnehmer am olympischen Fußballturnier 1952 in Helsinki und spätere Nationalspieler, schnürte, bevor er 1953 zum 1. FC Köln wechselte, seine Schuhe für die Feierabendprofis von der Westkampfbahn. Auch der Name Bierhoff hat eine enge Verbindung zu dieser Sportstätte. Der Vater des DFB-Sportdirektors Oliver Bierhoff, Rolf Bierhoff, nachmalig im zivilen Leben langjähriges Vorstandsmitglied beim Energiekonzern RWE, war als Jugendnationaltorwart Altersgenosse von Schnellinger und Seniorenspieler auf der Westkampfbahn. Er hütete das Tor beim Zweitligaspiel Düren 99 gegen Borussia Mönchengladbach, in dessen Reihen der damals populäre Nationalspieler Albert Brülls stand, der später sein Glück in der italienischen Profiliga fand. Die Westkampfbahn platzte wieder einmal aus allen Nähten.

Als die 99er drittklassig geworden waren und mehrmals als Mittelrheinmeister den Wiederaufstieg in die zweitklassige Regionalliga West verpasst hatten, sorgten sie nicht selten im DFB-Pokal für Furore. In den frühen 1960er Jahren wurden in einer Pokalsaison nacheinander Fortuna Düsseldorf und Borussia Mönchengladbach mit Hennes Weisweilers „Originalfohlen“ Jupp Heynckes, Bernd Rupp und Herbert Laumen (Günther Netzer saß verletzt auf der Tribüne) als zweiter Sieger nach Hause geschickt. Erst Alemannia Aachen mit Jupp Martinelli, Branko Zebec, Gert Klostermann und Co. schossen an einem Neujahrstag (!) auf der schneebedeckten Westkampfbahn den Underdog mit 4:0 aus dem Pokal.

So hat dieses traditionsreiche Stadion in der rheinischen Industrie- und Verwaltungsstadt, die im Zweiten Weltkrieg zu über 90 Prozent zerstört war, eine Menge bemerkenswerter Ereignisse aufzuweisen. Die späteren Bundesligaspieler Wilfried Hannes und Harald Konopka jagten bis zur Volljährigkeit hier dem runden Leder nach, bevor sie ihre Reise in die Bundesligawelt antraten. 

Holz unter Denkmalschutz

Einen Steinwurf entfernt von der Westkampfbahn kann der fußballhistorisch interessierte Zeitgenosse ein weiteres sportarchitektonisches, zum Glück denkmalgeschütztes Kleinod entdecken. Hier im Jugendstadion, der alten Heimstatt des Amateurvereins Schwarz-Weiß Düren, hat ebenfalls eine Holztribüne mit ästhetischen Bögen an der Frontseite bis heute den Stürmen der Zeit getrotzt. Das Jugendstadion kann es zwar mit den großen Ereignissen in der kaum fünf Autominuten entfernten Westkampfbahn längst nicht aufnehmen, hat aber in den Sportannalen der Region, nicht zuletzt wegen der schon lange nicht mehr genutzten Radrennbahn, seinen festen Platz. Was Fußballprominenz betrifft, braucht sich auch diese Sportstätte nicht zu verstecken. Immerhin lernte hier in Düren-Rölsdorf Harald „Toni“ Schumacher das Fußball-Einmaleins und stand bis zum Ende seiner kompletten Juniorenzeit als Jugendnationaltorwart zwischen den Pfosten. Dann erhielt er seinen ersten Profivertrag beim 1. FC Köln und startete seine respektable Laufbahn in die Fußballwelt.