Von Würges aus in die großen Stadien der Welt

FLW24 möchte hiermit die Interview-Serie rund um die schönste Nebensache der Welt fortführen.

Heute geben wir Euch einen Einblick in das Leben eines ‚Groundhoppers‘.

Andreas Rosenzweig aus Bad Camberg-Würges, reist, sofern es seine Zeit und die Familienumstände zulassen, für sein Leben gern und besucht und ‚sammelt‘ dabei Fußballplätze – sogenannte „Grounds“.

Der 43-jährige Bankkaufmann und Fan des FC Bayern München war bereits auf verschiedenen Kontinenten in Fußballarenen, opfert auch schon mal ein Wochenende, um einen Haken an alle Sportplätze der ersten niederländischen Ehrendivision zu machen und gibt uns einen anderen Blick auf das Fan-Dasein.

Wir haben mit ihm gesprochen…

Die Stamford Bridge ist das berühmte Heimstadion des FC Chelsea London. Auch hier war Andreas Rosenzweig schon vor Ort.

Das Stadion im niederländischen Venlo. Auch hier war Rosenzweig vor Ort und verbuchte einen sogenannten "Länderpunkt".

 

FLW24: Andreas, zum Einstieg auch an Dich eine persönliche und aktuell wichtige Frage: Wie geht es Dir in Zeiten der COVID-19 -Pandemie?

ANDREAS ROSENZWEIG: Meiner Familie und mir geht’s den aktuellen Umständen entsprechend sehr gut. Wir können vollumfänglich unserer beruflichen Tätigkeit nachgehen, unterliegen keiner Kurzarbeit oder ähnlichen Einschränkungen - unser Sohn geht wieder normal zur Schule.

FLW24: Die Pandemie schränkt einen „Groundhopper“, wie Du es bist, aktuell aber sehr ein – kann man das so sagen? Wie alle hast auch sicherlich Du die Hoffnung, dass irgendwann alles wieder „normal“ zugeht, oder?

ANDREAS ROSENZWEIG: Der zurückliegende Lockdown, insbesondere die damit einhergehenden Schulschließungen, haben uns sicherlich in einem bisher nicht bekannten Maß getroffen und gefordert. Glücklicherweise lagen unsere persönlichen Herausforderungen immer in Bereichen, die letztendlich zu bewältigen waren. Natürlich hoffe ich nun, wie wahrscheinlich jeder andere auch, schnell weiter zur „Normalität“ zurückkehren zu können.

FLW24: Zurück zu Dir - wie bist Du eigentlich zum Fußball gekommen?

ANDREAS ROSENZWEIG: Wir haben in unserer Familie eine hohe Affinität zum Fußball. Demzufolge habe ich bis einschließlich der B-Jugend alle Jugendmannschaften in meinem Heimatverein RSV Würges durchlaufen. In der A-Jugend, bzw. später im Seniorenbereich war ich dann für unterschiedliche Vereine aktiv.

FLW24: Hast Du aktiv im Kreis Limburg-Weilburg gekickt oder nur „nebenbei“ in Hobbymannschaften gespielt?

ANDREAS ROSENZWEIG: Im Seniorenbereich habe ich ein paar Jahre für den FSV Würges gespielt. Nach einigen Jahren ohne aktiven Fußball habe ich mich dann nochmal kurz den „AHs“ des RSV Würges und später auch des FSV Würges angeschlossen. Danach beschränkte sich mein Wirken nur noch auf diverse Hobbymannschaften.

FLW24: Lass uns nun Dein Hobby näher beleuchten, dass eher ungewöhnlich und sicherlich auch etwas kostspielig ist – aber dafür mit zahlreichen Abenteuern und Anekdoten verbunden ist. Erkläre uns zuerst mal „Groundhopping“ – was versteht man unter diesem Begriff?

ANDREAS ROSENZWEIG: „Groundhopping“ ist ein englischer Begriff, der die Wörter ground und (to) hop vereint. Übersetzt handelt es sich beim Ground um ein Fußballplatz oder Fußballstadion, to hop bedeutet springen oder hüpfen. Somit geht es von der Wortherkunft um ein „Platzspringen“ oder „Stadionhüpfen“.

FLW24: Was macht einen ‚Groundhopper‘ aus und wie bist Du zu diesem außergewöhnlichen Hobby gekommen?

ANDREAS ROSENZWEIG: Letztendlich ist es eine Sammelleidenschaft wie viele andere auch. Nur geht es hier nicht um Briefmarken, Modelautos o.ä., sondern eben um Fußballstadien. Im Rahmen einer Fußballfankarriere passiert es, dass man sich nach dem Besuch von Heimspielen seiner Mannschaft irgendwann zu den ersten Auswärtsfahrten begibt. Reichen einem auch diese Erlebnisse mit seinem Team nicht mehr, sucht man sich neue Ziele. So folgen die ersten Spiele ohne Beteiligung der eigenen Mannschaft und der Besuch von Stadien, die man noch nicht kennt. Der Sprung ins Ausland ist dann nur ein kleiner Schritt. Bei mir war das ganz ähnlich. Nach zahlreichen Besuchen des Münchner Olympiastadions wurden schnell die ersten Auswärtsspiele besucht. Nachdem man so allen Bundesligisten ein Besuch abgestattet hatte, wurden, dank der regelmäßigen Teilnahme des FC Bayern an den Europapokalwettbewerben, auch die ersten Ziele in Europa anvisiert. Irgendwann interessierst du dich dann für die Stadien, wo Du mit deinem Verein noch nicht hingekommen bist. In Deutschland führt Dich das dann in die 2. Bundesliga und tiefer, in Europa oftmals dann in die Regionen, die nicht regelmäßig Teilnehmer an der Champions League stellen.

FLW24: Groundhopping scheint eher etwas für Individualisten zu  sein – kann man das so sagen? Oder geht man auch in Gruppen „auf Tour“?

ANDREAS ROSENZWEIG: Ich glaube da ist jeder für sich ganz individuell unterwegs. Ich genieße es oftmals alleine los zu ziehen sein, schätze es aber genauso mit Gleichgesinnten auf Tour zu gehen.

FLW24: Worin liegen Deiner Meinung nach die Unterschiede zwischen klassischen Fans, Ultras und „Groundhoppern“?

ANDREAS ROSENZWEIG: Ich glaube letztendlich liegen alle gar nicht so weit auseinander. Alle eint der Fußball und Ihre Leidenschaft für Ihren Verein. Die Unterscheidungen finden sich dann sicherlich in der Art und Weise diese Leidenschaft auszuleben. Wobei das in meinen Augen keinen zu einem größeren Fan macht, wie den anderen. Der Groundhopper schaut dann aber noch über den vereinsbezogenen Tellerrand hinaus und kann sich auch für die damit einhergehenden Begleiterscheinungen begeistern.

FLW24: Und wie hat sich das „Groundhopping“ im Zeitalter des Internet verändert? Ist die Szene gut vernetzt? Es gibt ja sogar eine App – „Futbology“, korrekt?

ANDREAS ROSENZWEIG: Ich kenne die genannte App „Futbology“ zwar und bin mir auch deren Vorzüge bewusst, bisher bin ich was meine persönliche Dokumentation und Planung angeht, allerdings noch „altmodisch“ unterwegs. Ich agiere noch mit Excel-Listen und eingescannten Eintrittskarten, dazu durchstöbere ich regelmäßig Websites wie z.B. Europlan-Online, Soccerways und sonstige Plattformen. Das Internet und die zur Verfügung stehenden Social-Media-Kanäle, vereinfachen die Kommunikation untereinander, sowie die Informationsbeschaffung natürlich ungemein.

FLW24: Herrscht in der Szene ein Wettbewerb oder ist alles eher freundschaftlich organisiert? Wie siehst Du das?   

ANDREAS ROSENZWEIG: Ich persönlich habe das nie als Wettbewerb wahrgenommen. Ich denke dafür sind die Ausgangslagen eines jeden einzelnen auch zu unterschiedlich. Sicherlich gibt es auch diejenigen, die mit dem Erreichten hausieren gehen, aber die überwiegende Mehrheit derer, die ich bisher kennengelernt habe, steht in keinem wirklichen Wettbewerb untereinander.

FLW24: Wenn Du auf Reisen gehst – organisierst Du alles selbst oder geht’s dann in ein Reisebüro?

ANDREAS ROSENZWEIG: Ich war schon immer bestrebt meine Reisen weitestgehend selbst oder gemeinsam mit meinen Mitfahrern zu organisieren. Das war Ende der Neunziger sicherlich noch etwas schwieriger wie heutzutage mit der Vielzahl an zur Verfügung stehenden Informationsmedien. Durch das Internet kommt es mittlerweile kaum noch zu unliebsamen Überraschungen. Ein Reisebüro habe ich in Verbindung mit Fußball noch nie aufgesucht.

FLW24: Kann man pauschal sagen, was Dich ein Wochenend-Trip in eine große europäische Stadt, samt Anreise, Hotel, Verpflegung und Tickets kostet?

ANDREAS ROSENZWEIG: Ich glaube hier ist keine pauschale Aussage möglich. Das ist sicherlich von den gewünschten Standards eines jeden Einzelnen abhängig. Zwei Übernachtungen in einem Mittelklassehotel mit Frühstück bringen einfach andere Kosten mit sich, wie zwei Übernachtungen im Mehrbettzimmer eines Hostels bei gleichzeitiger Selbstversorgung. Gleiches gilt für die Wahl der jeweiligen Transportmittel. Hinzu kommt, dass ein Ticket für ein Premier League-Spiel ungleich teurer ist wie eine Eintrittskarte zum Stadtderby in Mostar.

FLW24: Kannst Du Dich an Deine allererste Fußballreise erinnern? Wo ging es da hin?

ANDREAS ROSENZWEIG: Mit zehn Jahren habe ich erstmal ein Heimspiel des FC Bayern besucht. Die „Reise“ zum damaligen Halbfinalspiel des Landesmeisterpokals gegen Real Madrid ist für mich unvergesslich und hat mein weiteres Fandasein nachhaltig beeinflusst.

FLW24: Was war bislang Deine weiteste Reise?

ANDREAS ROSENZWEIG: Spannender ist glaube ich die Frage nach der bisher längsten Anreisedauer. Wer schon mal 24 Stunden und mehr im Bus nach Madrid oder Porto verbracht hat, der weiß wovon ich rede….

FLW24: Wie viele Plätze hast Du in Deinem Leben jetzt besucht und wie viele Fußballspiele hast Du live gesehen?

ANDREAS ROSENZWEIG: Seit ich bewusst zähle, habe ich mittlerweile rund 300 Stadien in knapp über 30 Ländern besucht. In Summe liegen dem ca. 600 Spiele zu Grunde.

FLW24: Erzähl uns mal die lustigste Anekdote, die Du beim „Groundhopping“ erlebt hast. Was ist da passiert?

ANDREAS ROSENZWEIG: Ich bin mal in Belgrad nach dem Derby und einer sich anschließenden grandiosen Nacht in einer spärlich besuchten Karaokebar nahezu bewegungsunfähig und völlig verkatert am nächsten Morgen im Hostel aufgewacht.  Wir hatten uns völlig übermotiviert nachts am Geldautomaten mit mehr Geld versorgt, wie wir während des verbleibenden Aufenthaltes jemals hätten ausgeben können. Das für den Folgetag geplante Spiel haben wir in beiderseitigem Einverständnis sausen lassen. Was mir die höllischen Schulterschmerzen eingebracht hat, ließ sich nicht mehr rekapitulieren. Auf dem Rückflug und an den Tagen danach habe ich echt ein jämmerliches Bild abgegeben. Trotzdem bleibt die Erinnerung an ein tolle Nacht die uns beinahe am Folgetag nach Banja Luka geführt hätte.

FLW24: Und hast Du ein Lieblingsstadion?

ANDREAS ROSENZWEIG: Nein. Ich mag die Stadien die noch etwas Nostalgie verbreiten, bei denen man noch aus der Ferne die Flutlichtmasten erkennen kann. Ich finde beim Fußball darf man auch ruhig mal nass werden. Die modernen Arenen die wir hier mittlerweile in Deutschland haben, lassen hier in meinen Augen ein wenig Esprit vermissen.

FLW24: Und wo war die Stimmung am besten? In England, dem Mutterland des Fußballs?

ANDREAS ROSENZWEIG: Bei meinen bisherigen Spielbesuchen in England habe ich noch keine wirklich gute Stimmung erlebt. Ich glaube hier gibt es andere Länder in denen die Atmosphäre in den Stadien deutlich besser ist. Gerade in Osteuropa findet man häufig Spiele, bei denen man noch die komplette Bandbreite an Fanunterstützung erleben kann.

FLW24: Was sind die besonders attraktiven Plätze der Szene? Man hört, dass das „La Bombonera“ in Buenos Aires, die Heimspielstätte der Boca Junios, als Kultstätte gilt. Gib uns mal ein paar Einblicke?

ANDREAS ROSENZWEIG: Ich selbst war noch nie in Buenos Aires, habe aber schon oft gehört, dass es ein mehr als lohnenswertes Ziel sein soll. Es gibt sicherlich einige Stadien auf der Welt, in denen man vermeintlich mal gewesen sein sollte. Am Ende des Tages entscheidet aber auch hier jeder für sich, was für Ihn Kult und damit erstrebenswert ist.

FLW24: Beschreib uns doch mal den Reiz, ein Spiel der ersten belgischen Liga zu schauen? Was ist daran besonders, wenn KV Mechelen auf Cercle Brügge trifft?

ANDREAS ROSENZWEIG: Provozierend könnte ich sagen, das viele Mechelen noch nicht mal kennen, geschweige denn auf der Karte finden würden. Es reizt immer das Unbekannte, das Stadion und seine Atmosphäre, sowie die Menschen vor Ort. Wenn dann Mechelen noch der letzte fehlende Ground der Jupiler Pro League ist, ist ein Besuch ja quasi Pflicht.

FLW24: Du warst in England, in Frankreich, in Italien, hast EM und WM-Spiele gesehen sowie das Champions League-Finale zwischen Liverpool und Milan 2005 in Istanbul. Wenn Du Dir alle Spiele in Erinnerung rufst und Deine Top 3-Begegnungen benennen sollst – wie sieht Deine Hitliste aus?

ANDREAS ROSENZWEIG: Das angesprochene Champions League-Finale in Istanbul war sicherlich aufgrund des Spielverlaufs und des zur Halbzeit nicht mehr zu erwartenden Ausgangs ein absolutes Highlight. Drei verlorene Champions League-Endspiele mit den Bayern (Barcelona 1999, Madrid 2010 und das Finale Dahoam 2012) bleiben ebenfalls in Erinnerung - offensichtlich sind die Bayern ohne mich erfolgreicher. Hinzu kommen die Derbys in Belgrad und Rom, sowie ein paar weitere Partien, bei denen gar nicht mal die großen Namen gespielt hatten.

FLW24: Blicken wir in die Zukunft: Künftig dürfen wohl wieder regelmäßig Personen Fußballspiele besuchen. Welche Orte und Stadien stehen in naher Zukunft auf Deiner Agenda.

ANDREAS ROSENZWEIG: Durch die geltenden Auf- und Abstiegsregelungen kommt es immer wieder dazu, das Ligen die man eigentlich komplett besucht hat, beispielsweise durch einen Aufsteiger wieder unvollständig sind. Dadurch haben sich für mich in der 3. Liga einige Ziele ergeben. Darüber hinaus würde ich gerne an der Komplettierung der einzelnen Regionalligen „arbeiten“. Den ein oder anderen fehlenden Länderpunkt in Europa würde ich ebenfalls gerne mal angehen.

FLW24: Andreas, wir danken Dir für das Gespräch und die tollen Einblicke. Bleib gesund und hol Dir hoffentlich noch viele tolle Eindrücke auf Deinen Fußballreisen.