Anzeige

Maximale Mentalität: Profis auf dem Weg zur perfekten Ballmaschine

Jörg Andersson

Von Automatismen, Autosuggestion und Gehirntraining im Fußball

Wenn bei einem Team trotz Kaderqualität der Erfolg auf Strecke ausbleibt, stellt sich automatisch die vielzitierte Mentalitätsfrage. Ein Fußballspiel wird auch im Kopf entschieden, wissen die Experten. Neben der Physis wird mit zunehmendem Aufwand und ausgefeilten Methoden auch die Psyche trainiert, beobachtet Jörg Andersson von der KNAPPSCHAFT.

Die Analyse sportlicher Durststrecken kennt klassische Muster: Wichtig sei es jetzt, die Blockade zu lösen und den Kopf freizubekommen, äußern Akteure, wenn eine Mannschaft im Abwärtsstrudel ist und den Glauben an die eigenen Stärken zu verlieren droht. Auf dem Rasen stehen dann Spieler, die ihre Fähigkeiten zu selten abrufen, heißt es in Interviews.

Schon immer verbergen sich hinter manchen Filigrantechnikern labile Persönlichkeiten, die auf dem Platz mitunter mit einfachen Psychotricks aus dem Gleichgewicht zu bringen sind. Mal Weltklasse, mal Kreisklasse. Für die Älteren: der legendäre Libuda vom Schalker Markt war so einer.

Qualitätsunterschiede im Profifußball werden längst nicht mehr alleine auf dem Trainingsplatz herausgearbeitet. Umfangreiche Datensammlung auf dem Laptop und unzählige Videoanalysen flankieren die Vorbereitung auf den nächsten Gegner. Der berühmte Zettel von Jens Lehmann, mit dessen Hilfe der deutsche Torhüter einst bei einem entscheidenden Elfer im WM-Viertelfinale die richtige Ecke ahnte, erscheint da eher anachronistisch.

Oft entscheiden Motivation und Mentalität über Sieg oder Niederlage. Ängste abbauen und den Akteuren Mut vor wichtigen Duellen zu vermitteln: das gehört zum Grundprogramm der Spielvorbereitung. Auch ohne speziellen Mentaltrainer verstreicht in Amateurligen keine Mannschaftssitzung, in der nicht persönliche Stärken und die besondere Wettkampffähigkeit beschworen werden. Selbstbewusstsein ist elementar. Autosuggestion kann Stärke vermitteln. Wer fest an sich glaubt und sich immer wieder einredet, die entscheidende Spielsituation herbeizuführen, sprintet womöglich im wichtigen Moment in die richtige Lücke und ruft die ausschlaggebende Extraportion Energie ab.
Mentalcoaching vermag Spielern auch über eine schwere Verletzung hinwegzuhelfen. Wenn es beispielweise schwerfällt, über eine mehrmonatige Reha nicht die Geduld und das Ziel aus den Augen zu verlieren. Meditation und Autosuggestion können Selbstheilungskräfte fördern und emotionale Stärke festigen.

Auf dem Platz glänzen die besten Profis mit Instinkt und Intuition. Wer zu viel Zeit zum Denken zu hat, vergrößert eher das Risiko des Scheiterns, analysieren Experten oft.
Dabei steuert das Gehirn den Körper und damit jede einzelne Bewegung der Spieler. Wohin mit dem Ball? Auf diese Frage suchen in Sekundenbruchteilen alle Akteure auf dem Platz die passende Antwort. Anbieten und Antizipieren? Es gilt, den nächsten Spielzug vorzubereiten oder eben vorherzusehen.

Automatismen werden einstudiert, die Abläufe im kognitiven Training perfektioniert. Durch Visualisierung, Autosuggestion und andere Techniken fördern neue synaptische Verbindungen im Gehirn. Moderne Bewegungslehre-Methoden sorgen für Schnelligkeit und Flexibilität. Life-Kinetik-Übungen optimieren die Konzentrationsfähigkeit. Die Akteure sind vielfach gefordert; müssen etwa auf einer Slackline balancieren und gleichzeitig Bälle fangen oder bei Sprungübungen unter ständigem Richtungswechsel auf verschiedenen Beinen landen.

Vordenker Jürgen Klopp hat dieser Tage über Gehirntraining an der Anfield Road gesprochen. Unter neurowissenschaftlichen Aspekten verkabelte Spieler eröffnen dort einen Einblick in Hirnströme. Ziel dieser futuristisch anmutenden Methode ist es, die Bewegungsabläufe zu perfektionieren. Total fokussierte Spieler, die alles ausblenden. Keine Irritation mehr durch Reklamationen oder ein tobendes, pfeifendes Publikum.

Immer häufiger werden Fußballspiele durch einstudierte Standardsituationen entschieden. Klopps Team Liverpool entwickelte zuletzt europaweit die gefährlichsten Eckballvarianten. Jede15. Ausführungen führte zum Torerfolg. Einige Rivalen benötigen dafür fünfzig Anläufe, verrät die Statistik.

Das gilt auch für das Elfmeterschießen, das man nicht üben könne, wie manch Trainer angesichts der speziellen Stresssituation glaubt. In den 90er Jahren unterlagen die Engländer zweimal bitter: im WM-Halbfinale und im EM-Endspiel vor eigenem Publikum. Fast resignierend angesichts der offenbar besseren Mentalität des Gegners formulierte Gary Linekers sein berühmtes Zitat: „Fußball ist ein einfaches Spiel: 22 Männer jagen 90 Minuten lang einem Ball nach, und am Ende gewinnen immer die Deutschen.“

Mit modernen Trainingsmethoden haben englische Top-Teams diesen Kultspruch korrigiert. Der FC Chelsea besiegte Bayern München „dahaom“ im Champions-League-Finale vom Punkt und verhinderte einige Jahre später genauso den Einzug der Frankfurter ins Finale der Euro-League.

Alleine: im detailversessenen deutschen Trainer Klopp fanden die Londoner zuletzt gleich zweimal ihren Meister. Die Titel im Liga-Pokal und im FA-Cup sicherte sich Liverpool in diesem Jahr mit einer optimalen Trefferquote im Elfmeterschießen hauchdünn vor Chelsea.