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Risiko Lufthoheit: Über die Gefahren beim Kopfballspiel

Sportmediziner und Knappschaftsexperte Dr. Markus Bruckhaus-Walter.

Knappschafts-Cup (Herbst 2019). (Foto: KNAPPSCHAFT)

Knappschaftsexperte Dr. Bruckhaus-Walter mahnt zur Vorsicht

Wenn Mannschaften auf der Zielgerade eines Spiels mit Macht die Entscheidung suchen, ist vielfach die sogenannte „Brechstange“ im Einsatz. Alle Fußballkunst reduziert sich dann oft darauf, hohe Bälle in den Strafraum zu schlagen. Der Kopfball gilt als vielversprechendstes Rezept für einen finalen Treffer.

Kopfballduelle werden dauerhaft fester Bestandteil der Fußballdramaturgie bleiben: darin sind sich sämtliche Akteure einig, auch wenn die Sensibilität für das Verletzungsrisiko bis hin zu möglichen Langzeitfolgen stetig zunimmt. Schiedsrichter sind angehalten, das Spiel nach einem Zusammenstoß im Luftduell sofort zu unterbrechen - auch ohne, dass ein Akteur benommen auf dem Rasen liegen bleibt. Jeder Ellenbogeneinsatz im Luftduell zieht mittlerweile fast zwangsläufig eine Verwarnung nach sich.

„Bereits ein kleiner Kopfstoß kann eine Gehirnerschütterung auslösen“, weiß Sportmediziner Dr. Markus Bruckhaus-Walter. Das Problem: Ausmaß und Folgen einer Kopfverletzung sind auf die Schnelle oft gar nicht zu erfassen, ergänzt der Experte der Krankenkasse KNAPPSCHAFT.

Auch wenn die FIFA mit einer Drei-Minuten-Regel den Mannschaftsärzten zwischenzeitlich etwas Zeit zur gründlicheren Untersuchung einräumt, ob es für einen Akteur weitergehen kann oder nicht, plädiert Bruckhaus-Walter zu höchster Vorsicht. Im Interesse der Gesundheit sollten betroffene Spieler in jedem Fall vom Platz. „Kopfschmerzen, Erinnerungslücken, Schwindel, Erbrechen oder Sehstörungen sind klassische Symptome eines leichten Schädel-Hirn-Traumas. Um ein solches sicher zu diagnostizieren, bedürfe es allerdings eines Spezialtests.

Gibt es den schulmäßigen Kopfball ?

In der Regel seien nach ein paar Tagen Ruhe keine weitreichenderen Folgen zu erwarten. In Ausnahmefällen können aber Kopfschmerz, Konzentrationsstörungen und Co. auch Wochen oder gar Monate anhalten, warnt der Sportmediziner. Erhöhte Gefahr von Langzeitfolgen nach einer Gehirnerschütterung bestehe vor allem dann, wenn womöglich kurz nach einem Zusammenprall im Zweikampf ein erneutes Schädeltrauma erfolgt.

Der Begriff vom schulmäßigen Kopfball kommt Bruckhaus-Walter nur schwer über die Lippen. Neurologe Claus Reinsberger, Leiter des Sportmedizininstitutes der Uni Paderborn, sieht im adäquaten Kopfballtraining einen Schutzfaktor. „Eine gut ausgebildete Nackenmuskulatur kann die Gefahr einer Gehirnerschütterung und ihre Folgen nachweislich reduzieren.“ Der Knappschaftsexperte ist vorsichtiger. Eine gestärkte Halswirbelsäule könne schützen. Allerdings bestehe auf Dauer Verschleißgefahr, was nur durch Röntgen-Aufnahmen beobachtet werden könne. Auch beim lehrbuchhaften Kopfball gerate das im Stirnlappen sitzende Arbeitsgedächtnis in Bewegung. Bruckhaus-Walter: „Bei jedem Kopfstoß kommt es zu ,Anschlagtrauma‘ der Gehirnmasse an der begrenzenden Kalotte. Ergo sind strukturelle Läsionen die Folge.“

Messungen zufolge treffen Bälle mit bis zu 60facher Erdbeschleunigung auf den Kopf. Und doch ergeben vorliegende Untersuchungen kein klares Bild, das einfache Kopfbälle
das Risiko eines medizinischen Krankheitsbildes nach sich ziehen. Warnhinweise gibt es gleichwohl: Einer allerdings nicht repräsentativen Studie unter 89 Profifußballern in Norwegen zufolge können Kopfbälle und vor allem Zusammenstöße das Blutbild im Gehirn verändern und möglicherweise Signalwege im Körper beeinflussen. Andererseits entdeckten Forscher 2005 im gleichen Land bei rund 290 Spielern keine neuropsychologischen Defizite, selbst wenn diese auf eine Position mit viel Kopfballspiel besetzen.
Im Jugendfußball gibt es bereits Konsequenzen: nach dem auf den britischen Insel eine Studie publik wurde, wonach Fußballer im Vergleich zur Gesamtbevölkerung dreieinhalb bis viereinhalb mal häufiger unter Demenz oder Alzheimer litten sowie öfter an degenerativen Hirnerkrankungen sterben, folgte ein generelles Kopfballtraining-Verbot für Kinder bis zwölf Jahren. Auch in Deutschland wird bis zur U-11 generell auf Kopfballtraining verzichtet. „Kinder sind besonders gefährdet. Die Hirnrinde kann noch bis zum 20. Lebensjahr wachsen“, ergänzt Bruckhaus-Walter und warnt mit Hinweis auf eine weitere Untersuchung aus Schottland vor dem Risiko späterer neurologischer Erkrankungen im Alter.

Wachsendes Risiko mit Spieldauer und Position

In dieser Studie wurden 7676 ehemalige männlichen Fußballer einer dreimal so großen Kontrollgruppe gegenübergestellt. Bei fünf Prozent der Ex-Profis wurde eine neurodegenerative Erkrankung diagnostiziert, dreimal häufiger als in der nach Alter, Geschlecht und sozioökonomisch gleichen Kriterien herangezogenen Vergleichsgruppe. Noch deutlicher wird die Gefahr wiederholter Schädel-Hirn-Trauma für den Knappschafts-Experten aus der Studienerkenntnis, dass eine Profikarriere von mehr als 15 Jahren das Risiko auf die Spitze treibt und Feldspieler ein deutlich höheres Risiko tragen als Torhüter. Am meisten gefährdet war das Fußballer-Hirn von Verteidigern, bilanziert Markus Bruckhaus-Walter.