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Für echten Fußball ist es noch zu früh

Knappschaftsexperte über Risiken des Sportbetriebs

Sportmediziner und Knappschaftsexperte Dr. Markus Bruckhaus-Walter.

Wochenlang waren Spielplätze und Vereinsgelände tabu. Nun tastet sich der organisierte Sport zurück in den Alltag. Seit dem 09. Mai dürfen in Hessen auch Amateurfußballer wieder unter Auflagen trainieren. Zum Zeitplan und möglichen gesundheitlichen Risiken angesichts der Corona-Pandemie äußert sich der Sportmediziner und Knappschaftsexperte Dr. Markus Bruckhaus-Walter. 

„In einem vertretbaren Rahmen gemeinsam wieder Sport treiben zu können, ist gut für die Psyche, für die Gesundheit und das soziale Miteinander“, sagt Hessens Landessportbund-Präsident Dr. Rolf Müller. Ist es nach wochenlangem Ausnahmezustand höchste Zeit, dem Bewegungsdrang wieder mehr Freiraum zu lassen?

Markus Bruckhaus-Walter: Als Sportmediziner kann ich das grundsätzlich nur begrüßen. Allerdings gilt das nicht uneingeschränkt und auch nicht für alle Sportarten. Wenn wir über Fußball reden, sollten wir meines Erachtens weiter auf die Bremse treten.

Der Übungsbetrieb bei den Fußballvereinen unterhalb der Profiligen ist vorest  noch zahlreichen Beschränkungen vom generellen Zweikampfverbot bis hin zur Teamgröße unterworfen. In den Tipps zur Umsetzung heißt es: Die Spieler bewegen die Bälle ausschließlich mit dem Fuß, Ein- und Zuwürfe sind nicht Gegenstand der Trainingsform, Kopfbälle werden nicht durchgeführt. Lassen sich so Gefahrenquellen minimieren?

Markus Bruckhaus-Walter: Auf diese Weise werden Trainingsformen praktiziert, die mit dem echten Spiel nur wenig gemein haben. Fußball ist von seinem Wesen  her eine zweikampfgeprägte Mannschaftssportart. Viele  Vereine haben sich ja übrigens entschlossen, mit der Ansetzung des Trainings noch zuwarten.

Im Spiel wird selbst der Torjubel reglementiert. Spielertrauben sind tabu. Andere Beobachter freuen sich derweil über eine ästhetische Innovation. Spielern ist nun das Spucken verboten. Und Unparteiische dürften wohlwollend zur Kenntnis nehmen, dass auch für Reklamieren, Stoßen und Anschreien kein Spielraum mehr bleibt.

Markus Bruckhaus-Walter: Was Spucken und Schreien betrifft, mag ich nicht widersprechen. Andererseits sind viele Emotionen wesentlicher Bestandteil dieser Sportart. Ohne aufgeregte Zuschauer und Fans hat der Fußball ja ohnehin schon seinen Charakter eingebüßt, wie die Diskussion um Geisterspiele belegt. 

In den Niederlanden sind seit Anfang Mai für bis zu zwölfjährige Kontaktsportarten erlaubt. Ein belgischer Virologe sagte Ende April, Kinder könnten ruhig Fußball spielen. Speziell im Freien, weil das  Ansteckungsrisiko wegen schneller Verdünnung der Atemluft geringer sei. Ist vieles eine Frage des Alters und der Intensität?

Markus Bruckhaus-Walter: Kinder sind sicherlich unter einem besonderen Aspekt zu betrachten, weil sie in der Corona-Krise ohnehin unter mangelnder körperlicher Interaktion speziell mit Gleichaltrigen leiden. Generell fehlen noch belastbare Studien zum Ansteckungsrisiko beim Sport, speziell beim Fußball. Gleichwohl wird spekuliert, was passieren könnte, falls man beim Joggen nicht ausreichend Abstand halte, da die Viren nach dem Ausatmen in schweben Aerosolen bis zu drei Stunden überdauern können. Betrachtet man zudem die meines Erachtens  hysterisch geführte Diskussion zu notwendigen hygienischer Maßnahmen, ist jede Empfehlung richtig oder falsch. Oder einfacher formuliert: Absolute Sicherheit gewährt nur ausreichende Distanz. Und wenn Sportarten mit Zweikämpfen geführt werden, wie der  Fußball, drohen hier Infektquellen.

Wann und wo Sport getrieben werden kann, ist zudem von Bundesland zu Bundesland verschieden. In Nordrhein-Westfalen etwa sollen ab 30. Mai selbst Sportarten mit unvermeidbaren Körperkontakten auch in geschlossenen Räumen wieder möglich sein. Was sagen Sie dazu? 

Markus Bruckhaus-Walter: Das passt ins Bild. Covid-19 wird uns noch lange begleiten und damit auch die Vermeidung von Infektion beim Sport mit Wettkampfcharakter. Beim Profifußball beeinflusst das Geld das Handeln. In den unteren Klassen schwanken viele  zwischen möglicher Fortsetzung und Saisonabbruch. Diese Herumeierei ist nicht zielführend. Aus sportmedizinischer Sicht plädiere ich dafür, die Saison zu beenden und frühestens nach der Sommerpause ab Juli  einen Neustart festzulegen. Die Diskussion über Indoor- und Outdoor-Sportbetrieb hängt sicherlich wesentlich von den Belüftungsmöglichkeiten ab.

Sport ist gesund. Leistungssport hingegen eher weniger, warnen Experten. Durch unerkannte oder verschleppte Corona-Erkrankungen  drohten Fußballprofis und ambitionierten Amateuren durch das Virus schwerwiegende Folgen für die Gesundheit bis hin zu  Organschäden. Covid-19 könne zu lebensgefährlichen Herzmuskelerkrankungen führen.

Markus Bruckhaus-Walter: Dieses Risiko besteht immer. Jeder, der mit einem grippalen Infekt oder eine Viruserkrankung Sport treibt, setzt seinen immungeschwächten Körper weiterer Belastung aus. Die Gefahr einer Herzmuskelentzündung besteht unabhängig von Corvid 19. Wer kraftraubenden Ausdauersport betreiben oder Marathon laufen will, sollte sich zuvor einem Kardio-Check unterziehen. Und dennoch kommt es immer wieder mal zu Todesfällen.

Eine zusätzliche Gefahrenquelle sehen Fachleute durch den erhöhten Sauerstoffbedarf beim Sport. Ein schnaufender Fußballer atme ein zigfaches  an Luft im Vergleich zu vielen anderen Menschen ein. Entsprechend groß sei die Gefahr, dass eine erhöhte Virdendosis ohne Umweg über den Rachen direkt in die Lunge gelange.

Markus Bruckhaus-Walter: Wie schwer eine Covid-19-Erkrankung verläuft, hängt tatsächlich wohl auch davon ab, wie hoch die Virendosis ist. Das ist ähnlich wie etwa bei Salmonellen. Vereinzelt lösen die Bakterien keine Krankheit aus. Je mehr es sind, desto gefährlicher. Darüber hinaus kommt es für  den Verlauf generell immer  auch auf den Gesundheitszustand des Betroffenen an.

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