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Kunstrasen hat auch gute Seiten

Sportarzt und Knappschaftsexperte Dr. Markus Bruckhaus-Walter über Verbotsdebatten und Gesundheitsrisiken

Spielszene aus dem Archiv Saison 2018/2019. Foto: Dominik Groß

Mehr als 5000 Kunststoffrasenplätze in Deutschland sind im Zuge einer Studie des Fraunhofer-Instituts in die Diskussion geraten. Die meisten gelten wegen Mikroplastikfüllungen als umweltgefährdend und infolge von Weichmacherölen zudem womöglich als Gesundheitsrisiko für die Sportler. Auch in Hessen sind viele von rund 440 dieser Spielfelder mit Recyclinggranulat gefüllt, das aus Altreifen stammt.

Markus Bruckhaus-Walter: Die Debatte über ein drohendes Nutzungsverbot ist überhitzt geführt worden. Vieles basiert meines Wissens zum Teil noch auf Vermutungen. Über die Füllmengen sowie den Verlust von Kunststoffgranulat durch Ausspülungen und Abtragungen herrscht bei der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA) und Wissenschaftlern weiter Unklarheit.  

Der Landessportbund Hessen und der Hessische Fußballverband haben die Kunstrasenplätze „unverzichtbar für den Vereins-, Breiten-, Leistungs- und Schulsport“ genannt. Gerade die aktuelle Generation dieser Plätze weise eine hohe Sportfunktionalität auf. Nutzungseinschränkungen aus gesundheitlicher Hinsicht bestünden nicht.

Bruckhaus-Walter: Ein mögliches Verbot hat die EU-Kommission ja aktuell ausgeschlossen – auch mit Verweis auf die wichtige Rolle der Sportplätze für die körperliche Bewegung, Gesundheit und soziale Integration. Aus ärztlicher Sicht kann ich das nur unterstreichen. Breitensport fördert einen gesunden Lebensstil. Das Gesundheitsrisiko der Sportplatznutzung muss man differenzieren und relativieren.

Das Gesundheitsamt der Städteregion Aachen hat mit Hinweis auf eine Schweizer Studie wenig Bedenken. Die Belastung durch Kunststoffgranulat für den Menschen sei kurzfristig und ungefährlich, weil die Schadstoffe in den Gummikörnern über die Haut nur geringfügig aufgenommen und in der Regel schnell wieder abgewaschen würden. Selbst in der Halle sei das Risiko kaum Größe als auf einer Straße in der Stadt.

Bruckhaus-Walter: Da sind wir bei der umstrittenen Messung und Interpretation der Feinstaubbelastung. Auf Hartplätzen gibt es Staubbelastungen. Und wer weiß noch, woher die Asche kommt? Zur Erinnerung: Anfang der 90er Jahre wurden reihenweise Sportplätze gesperrt, deren Beläge eine hohe Dioxinbelastung aufwiesen.

Sie sprechen von Kieselrot. Mit der Schlacke aus Marsberg waren viele Hartplätze in Nordrhein-Westfalen, Hessen, Niedersachsen und Bremen befüllt. Als gesundheitsgefährdend wurde das karzinogene Potenzial kleiner Partikel in Schürfwunden definiert. Vielfach wurde die Schlacke abgetragen. Andere Plätze erhielten eine zusätzliche Deckschicht. Eine Sanierungsmethode, die sich aber als kurzlebig und nicht dauerhaft sicher erwies.

Bruckhaus-Walter: Auch beim Kunststoffbelag gab es früh Hinweise auf Material, das im Verdacht steht, krebsgefährdend zu sein. Schon bei den Tartanbahnen in der Leichtathletik. Und warum wurden die Altreifen offenbar noch länger als Füllmaterial verwendet, obgleich seit zehn Jahren scharfe Grenzwerte gelten? Auch bei den Ersatzfüllstoffen wie Kautschuk oder Korkgranulat gibt es bestimmte Sorten, die kanzerogen sind.

Andererseits schützt der Gummibelag Spieler vor Verletzungen. Die erste Generation von Kunstrasen war gering beschichtet und mit viel Sand gefüllt. Der stumpfe Boden förderte Gelenkbeschwerden, Kreuzbandrisse und Adduktorenzerrungen.

Weil die Erneuerung sämtlicher Kunstrasenplätze nicht finanzierbar erscheint und selbst Ersatzfüllungen teuer kommen, bleiben die Plätze weiter offen.

Haben Sie noch Empfehlungen für leidenschaftliche Amateurfußballer oder Eltern begeisterter Nachwuchskicker?

Bruckhaus-Walter: Offenbar ist das Einfüllmaterial nicht so gefährlich, dass der Spielbetrieb sofort eingestellt bzw. das Mikroplastik schnellstmöglich abgesaugt werden müsste. Medizinische Einwände sind erst dann zielführend, wenn Richtgrößen und reale gesundheitsschädigende Höchstmengen bekannt sind, die zu einer Gefährdung der Sportler führen könnten. Wie immer gilt: Die Dosis macht das Gift.

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