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Machen Kopfbälle doof?

Manchmal kann schon ein kleiner Stoß weitreichende Folgen haben, berichtet Knappschaftsexperte Dr. Friedrich Hölzl

 

 

Dr. med. Friedrich Hölzl, Chefarzt der Zentralen Notaufnahme und Aufnahmestation der Rhein-Maas Klinikum GmbH in Würselen.

Die Szene tat beim Hinsehen weh: trotz blutgetränktem Turban wuchtete  Dieter Hoeneß im Pokalendspiel 1982 die Kugel unerschrocken mit dem lädierten  Schädel ins Tor. Unter dem rotgefärbtem Verband sah man den Kopfballrecken strahlen.  

Kaum wahrgenommen hingegen wurde im ersten Augenblick, was Liverpools deutschen Torwart Loris Karius im Champions-League-Finale 2018 mit zwei Patzern zur tragischen Figur werden ließ. Ein Rempler von Sergio Ramos war offenbar Auslöser einer folgenschweren  Gehirnerschütterung. Ein „Blackout“ zwang auch zur Auswechslung von Christoph Kramer beim siegreichen WM-Finale 2014.  Wie sich herausstellte, konnte er sich nach einem k.o. nicht mehr an den Anlass des Spieles erinnern. Und zuletzt standen  Andre Hoffmann von Fortunas Düsseldorf und Hoffenheims Benjamin Hübner  nach vermeintlich harmlosen Gehirnerschütterungen ihren Teams wochenlang nicht zu Verfügung.

Dass wiederholte Schläge auch die robusteste Sportlerbirne aufweichen können, ist spätestens seit Muhammad Ali bekannt. Die Dementia pugilistica (Faustkämpfer-Demenz) ist eine Gehirnstörung, die knapp 20 Jahre nach wiederkehrenden Kopftraumen auftritt. Warum aber mutiert ein Ausnahmetorwart plötzlich zum Fliegenfänger und warum entschuldigen sich gestanden Profifußballer wochenlang mit Kopfweh, wenn sie als Männer gefordert werden…?

Die Gefahr vom Schädeltrauma

Schon ein kleiner Kopfstoß kann für eine Gehirnerschütterung genügen. Die sogenannte Commotio cerebri glänzt mit verschiedenen unspezifischen Symptomen. Keineswegs bleibt der Athlet zwingend minutenlang benommen im Gras liegen und sieht Sternchen. Kopfschmerzen, Erinnerungslücke, Schwindel, Erbrechen oder Sehstörungen können ebenso Ausdruck einer ausgewachsenen Commotio sein. Der Spieler muss vom Platz, auch wenn es sich für Gladiatoren nicht schickt. Die angerumpelte Rübe braucht Ruhe. Die erste Nacht verbringt man üblicherweise sogar im Krankenhaus zur Überwachung, damit schwerwiegendere Folgen wie eine Blutung ausgeschlossen werden können.  Danach sind ein paar Tage Ruhe angesagt. Eine spezifische Therapie existiert nicht.

In aller Regel ist schon in wenigen Tagen mit vollständiger Genesung zu rechnen. Leider können aber Kopfschmerz, Konzentrationsstörungen und Co. auch Wochen oder gar Monate anhalten. Insbesondere passiert das, wenn zeitnah nach dem Unfall ein erneutes Schädeltrauma erfolgt und leider begünstigen die Symptome der Gehirnerschütterung ausgerechnet das Risiko für einen erneuten Rums auf den Schädel. Der Sportler sollte symptomfrei sein, bevor wieder eine Wettkampf-Fähigkeit besteht! Denn gerade in der Erholungsphase sind die Wahrscheinlichkeit eines neuen Unfalls und auch die Folgen eines solchen deutlich erhöht. Genau dies fördert dann auch das verlängerte Anhalten der Beschwerden.

Kommt es im Laufe der Jahre wiederholt zu Schädeltraumen, so kann dies dann sogar zur Chronisch Traumatischen Enzephalopathie (CTE) mit Depression und Wesensveränderungen, aber auch Gedächtnis-, Gang- und Denkstörungen führen. Hier kann der Pathologe neben zahlreichen mikroskopischen Veränderungen schon mit bloßem Auge eine unschöne Gehirnschrumpfung erkennen.

Im American Football sind Kopfunfälle noch  häufiger als im Fußball. Amerikanische Wissenschaftler konnten an Gehirnen verstorbener Football-Spieler in fast allen Fällen CTE nachweisen. Für Faustkämpfer ist dies ebenfalls bekannt. Boxer müssen nicht umsonst regelmäßig zum Gehirncheck, obwohl sie vielleicht dreimal im Jahr kämpfen.

Erhöhtes Risiko

Inwieweit  das klassische Kopfballspiel im Fußball ein Risiko darstellt bleibt unklar. Für Kicker sind  regelmäßige Gehirnuntersuchungen keine Pflicht.  Dabei: Wer sich einmal einen Standard-Kopfball in Nahaufnahme in der Superzeitlupe angesehen hat, der kann sich vorstellen, wie das sensible Sportlerhirn durchgeknetet wird, wenn so eine prall-elastische Lederkugel mit 100 km/h mitten ins Gesicht klatscht. Und das eben nicht nur dreimal im Jahr. Untersuchungen konnten zeigen, dass selbst repetitive subklinische Hirnschädigungen, also wiederkehrende, kaum bemerkte Kopftraumen wie beim Kopfball das Risiko chronisch degenerativer Hirnerkrankungen wie Alzheimer oder ALS bei italienischen Fußballprofis messbar erhöhen. Und wenn man dann so manchen Fußballhelden von damals heute so reden hört, dann könnte man gelegentlich schon glauben, dass der ein oder andere Kopfball vielleicht doch zu viel gewesen ist. Übrigens treten gerne auch Verhaltenssymptome wie vermehrte Reizbarkeit, erhöhte Impulsivität, Ärger und Aggressivität auf.

Kein Wunder also, dass der fortschrittliche US-Fußballverband den Kopfball bei Kindern unter elf Jahren komplett verboten hat. Diese Altersgrenze ist jedoch sehr willkürlich, denn keiner vermag zu sagen, ob es beispielsweise für 25 jährige wirklich gesünder ist, sich regelmäßig den Kopf zu stoßen.

Der DFB hält übrigens bisher nichts vom Kopfballverbot, sondern denkt eher über die Schulung einer besseren Technik mit Stärkung der Nackenmuskulatur nach. Erst jüngst hat  Schalkes Torschützenlegende Klaus Fischer daran erinnert, wie er seine Trefferfähigkeiten aus der Luft dank Kopfballpendel veredelte.

Tatsächlich ist eine sichere und klare Abschätzung des Kopfball-Risikos beim Fußball noch nicht möglich. Ganz anders ist das bei der klassischen Gehirnerschütterung, also dem leichten Schädel-Hirn-Trauma mit typischen Symptomen. Dieses ist absolut ernst zu nehmen. Wer nach einem Kopfanprall über Kopfschmerz, Übelkeit, Schwindel oder Sehstörungen klagt oder gar bewusstlos war oder Erinnerungslücken hat, der gehört vom Platz, zum Arzt und geschont bis er wieder symptomfrei ist! Die sogenannte 3-Minuten-Regel der FIFA räumt dem Mannschaftsarzt etwas Zeit zur gründlicheren Untersuchung nach jedem Kopftrauma, damit der Arzt dann entscheiden kann, ob es für den angeschlagenen Sportkameraden weitergehen kann oder besser nicht. Leider wird sie immer noch nicht konsequent umgesetzt, da viele Spieler selbst das Risiko unterschätzen und vom Ehrgeiz getrieben einfach weiterspielen wollen.

Kopfballungeheuer mit klarem Verstand

Dennoch sollten wir bei aller Besorgnis und Fürsorge nicht vergessen, dass es unseren geliebten Fußball schon lange gibt und vermutlich ebenso lange auch Bälle gegen Spielerköpfe krachen. Längst nicht alle Fußballer vergangener Jahrzehnte sitzen verwirrt und pflegebedürftig in der Psychiatrie oder im Altenheim. Das gilt nicht nur für Dieter Hoeneß. Auch das berühmte Kopfballungeheuer Horst Hrubesch erfreut sich heute noch bester Gesundheit.

 

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