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KOLUMNE: "Schorsch Horz: Der Realität ins Auge sehen"

Die Nassauische Neue Presse räumte in ihrer Ausgabe vom 18.12.2021 Hans-Dieter te Poel unter dem Titel "Der Realität ins Auge sehen" einen großen Raum für seine Sichtweise auf die momentane Situation im Schulsport und auch im Vereinssport ein. Er fordert den DOSB - dem seit Kurzem der heimische Thomas Weikert vorsteht - auf, die aktuelle Situation in den Fokus zu nehmen. Es folgt ein Plädoyer für die Professionalisierung und Verwissenschaftlichung des Sports.

Dass ein diplomierter Sportwissenschaftler, ein DFB-Fußballlehrer mit UEFA Pro Licence, ein Trainer und Spieler im Leistungs- und Hochleistungsbereich, ein mehrfacher Buchautor und Autor für Fachzeitschriften, ein Lehrbeauftragter für Fußball an der Deutschen Sporthochschule in Köln, zu einem etwas anderen Ergebnis kommt als ein Fußballer, der über 6 Jahrzehnte im Fußball an der Basis gewirkt (und nur mal kurz als Spieler im Leistungsbereich geschnuppert) hat, ist normal.

Ich werde hier unter dem Titel "Schorsch Horz: Der Realität ins Auge sehen" mich mit der aktuellen Situation im Sport (insbesondere im Fußball) und mit den Aussagen von Dieter te Poel mal auseinandersetzen.

In Zeiten von Corona ist alles anders. Selbstverständlich sind Übungsstunden in einer Halle mit Maske sowohl für die Akteure, als auch für die Übungsleiter unangenehm. Bekannt ist, dass die Gefahr sich im Freien anzustecken wesentlich geringer ist als im geschlossenen Raum. Warum also nicht Sport im Freien treiben? Jeder muss seinen Teil dazu beitragen, die Pandemie zu besiegen. Mein Mitgefühl gilt weniger den Sportlern und verbeamteten Sportlehrern, als vielmehr den Ärzten und dem Pflegepersonal in Krankenhäusern, in Altersheimen und im Rettungswagen - den Menschen, die um ihre Existenz kämpfen oder sie verloren haben. Nicht vergessen will ich die Menschen im Ahr- und Erfttal, sofern sie überhaupt die Flut überlebt haben.

Der Anteil der Sportler und Trainer im Leistungs- und Hochleistungsbereich - gegenüber denen an der Basis - ist gering. Nicht Jeder/Jede erhebt den Anspruch, mal in einer Bundesligamannschaft zu spielen - oder eine solche zu trainieren. Die Wenigsten haben das Talent und auch die erforderlichen Charaktereigenschaften (den Biss und den Willen, das gesamte Leben einer Profisportkarriere unterzuordnen) mal in einer Bundesligamannschaft mitwirken zu können.

Sport (und Kultur) spielt in unserer bundesrepublikanischen Gesellschaft eine große Rolle, Millionen von Menschen bereichern damit ihre Freizeit. Ja, es gibt mittlerweile viele Fitnessstudios. Die Anzahl der Radfahrer ist, seit es E-Bikes gibt, immens gestiegen. Dauerläufer und Walker prägen das Landschaftsbild. Mein Sohn hat den Marathon und den Golfsport für sich entdeckt. Aber der meiste Sport wird immer noch in den Vereinen betrieben.

"Ein Sack Bälle, farbige Leibchen, ein paar Bänke, zwei Tore, ein paar Kästen, Weichbodenmatten, eine Kletterwand etc., das reicht heute für einen modernen Sportunterricht und ein attraktives und wirksames Training nicht mehr aus.“ Ich zitiere hier aus dem Zeitungsbericht von Dieter te Poel. Diese Aussage ist eine Beleidigung der vielen ehrenamtlichen Trainer und Übungsleiter, die Woche für Woche mit genau diesen einfachen Mitteln eine riesige Menge von Kindern, Männern und Frauen bis ins hohe Alter die Möglichkeit bieten, sich sportlich zu betätigen und ihrem Körper etwas Gutes zu tun - und mit anderen Menschen in Kontakt zu kommen. Die große und immer wiederkehrende Beteiligung ist für die "Vorturner" ein Gradmesser dafür, dass sie richtig liegen.                   

Ja, meine Betrachtungen sind etwas fußballlastig. Es ist der Sport, den ich seit 60 Jahren betreibe und liebe. Die Zahl der Ehrenamtler an der Basis, die sich das Ehrenamt noch antun, wird immer kleiner. Beruf und Familie fordern heute die Menschen immens. Gefragt ist derzeit mit Sicherheit nicht, Trainerausbildungen auf ein noch höheres professionelles und wissenschaftliches Niveau zu heben. Die Ausbildung kostet Zeit und Geld. Um die E- und D-Junioren der JSG Eisenbach/Haintchen/Münster zu trainieren und die Jungs und Mädchen bei der Stange zu halten, braucht Lars Weller nicht die Qualifikation, um eine Bundesligamannschaft trainieren zu können. Und auch keine Hilfsmittel wie schnelle Internetverbindungen, Tablets, Beamer oder interaktive Tafeln. Von Spielen wie "Köpfen auf Zeit", "Elferkönig", "Rausschießen", "Kopfballturniere in der Sandgrube" (im Winter alternativ beim Bauern in der Scheuer) hat die Sportwissenschaft bestimmt noch nie etwas gehört. Es hat mich und meine Freunde in unserer Kindheit jeden Nachmittag auf die frei zugänglichen Turn- und Sportplatz gelockt. Entwickelt haben sich viele Straßenfußballer.


"Das Gebot der Stunde ist, Übungsleiter bei der Stange zu halten und natürlich auch neue zu finden."


Der letzte Satz kann für die Funktionärsebene in den Vereinen 1 zu 1 übernommen werden.

Auch der Spielbetrieb wird mangels ausreichender Spieler immer weiter ausgedünnt. Zahlreiche Spielausfälle und hohe Ergebnisse, die aus dem Rahmen fallen, sind die Folge. Rubin hat leider den Spielbetrieb eingestellt. Zur neuen Saison werden neue Spielgemeinschaften gegründet. Es gibt Vereine, die einen Partner suchen, aber keinen finden. Das Gebot der Stunde heißt, spielendes Personal zu binden und gegebenenfalls neues zu finden, aber nicht unbedingt bei anderen Vereinen. Alle müssen überleben, damit ein geregelter Spielbetrieb möglich ist. Ich wünsche mir den Idealzustand, wo jeder Ort einen alleinexistierenden Fußballverein hatte, zurück.

Seit vielen Jahren verliert der Fußball von den D-/E-Junioren bis hin zu den A-/B-Junioren ca. 70 Prozent seines Personals. Die Beantwortung der Frage nach dem „Warum“ wird lapidar mit demografischem Wandel beantwortet. Ursachenforschung sollte unbedingt mal von ALLEN - Spieler, Trainer/Betreuer, Vereine und Verbandsfunktionäre auf allen Ebenen - betrieben werden. Auch bei der Jugend bedingt der Personalmangel den desaströsen Spielbetrieb. Möglicherweise ist der Spielermangel aber auch Folge von desaströsem Spielbetrieb.

In der kalten Jahreszeit beschäftigten wir früher die Kinder mit Hallenfußball. Tolle Hallen standen und stehen zur Verfügung, die Kinder, Betreuer/Trainer und auch Zuschauer hatten einen „Heidenspaß“. Auch, weil sie im Winter ihrem Hobby nachgehen konnten. Aber nur so lange, bis ein Sepp Blatter von der FIFA verfügte, dass auch im Landkreis Limburg-Weilburg in der Halle nur noch Futsal gespielt werden darf, obwohl flächendeckend keine Trainer und auch keine Schiedsrichter zur Verfügung standen. Wichtig war, dass sich kein eigenständiger Futsal-Verband gründete.

Fast flächendeckend verfügen wir über tolle Sportplätze. Kinder sind aber fast überall unwillkommen - sind sie doch laut. Sportplätze sind fast überall umzäunt und abgeschlossen. Wo sollen sich noch Straßenfußballer entwickeln? Meine Horrorvision ist, dass wir irgendwann viele klasse Plätze haben, aber keine Spieler/innen mehr, die sie nutzen.

Zum Fußballspiel gehören ohne Wenn und Aber auch Schiedsrichter. Die permanenten verbalen und teilweise auch körperlichen Übergriffe gegen die Spielleiter führen zu einem massiven Nachwuchsproblem. Einige Spiele in Nachbarkreisen können schon nicht mehr mit Schiedsrichtern besetzt werden.

Es steht die Wahl des DFB-Präsidenten oder einer Präsidentin an. Die Spitze des Hessischen Fußballverbandes hat sich, ob der Unterstützung von 2 konkurrierenden Kandidaten, hoffnungslos zerstritten. Es geht aber nur um die Verteilung von Pöstchen. Absolut keine Rolle spielt der Niedergang des Fußballs und seine gravierenden Probleme.

Generell haben wir ein gesellschaftliches Problem, von dem nicht nur der Sport betroffen ist. Es zählt viel zu viel das ICH und viel zu wenig das WIR. Darunter leiden insbesondere die Vereine sehr massiv.

Meine Erwartung an Thomas Weikert - der DOSB-Präsident, Sportkreisvorsitzender im Landkreis Limburg-Weilburg ist und somit Mittler zwischen Spitzen- und Breitensport sein könnte - wäre, dass er Maßnahmen zur Stärkung des Ehrenamtes ergreift. Letztlich ist es so, dass die Spitze um Dieter te Poel und andere von einer breiten und starken Basis profitiert und die Basis Entwicklungsmöglichkeiten nach oben hat.

Ich freue mich, Euch bald wieder auf einem Sportplatz zu treffen. Meine Hoffnung ist, die Saison 2021/2022 trotz Pandemie ordentlich abzuschließen.


Euer „Schorsch“ Horz