Anzeige

KOLUMNE: Die einzig wahren Fussballer

Spielszene auf Wyk-Föhr. Hier sind die Spiele ganz anders wie bei uns im Fußballkreis. (Foto: Georg "Schorsch" Horz)

Mit einem Eisenbacher Unternehmerehepaar bin ich befreundet. Sie haben in ihrem Kfz-Betrieb einen exzellenten, afghanischen Lackierer, der mit seiner georgischen Ehefrau zwei Söhne (10 und 11 Jahre alt) hat. Man zog nach Eisenbach. Ich wurde um Mithilfe bei Problemen mit Behörden und in der Schule und bei der Integration der beiden Jungs in ihrem neuen Wohnort gebeten. Tut mir leid, mir fällt bei Kindern, insbesondere bei Jungs, nicht viel mehr als Sport und weil ihm seit Jahrzehnten meine Liebe gehört, der Fußball ein. Das läuft. Es läuft auch, weil ich darüber (zudem auch noch bei der Betreuung von 2 Jungschiedsrichtern) Lars Weller kennenlernte. Ich kannte ihn vom Sehen im Dorf her, hatte ihn aber nie - ich lebe seit über 30 Jahren in Eisenbach - beim Fußball auf dem Schirm. Lars betreut die E- und auch die D-Jugend der JSG Eisenbach/Haintchen/Münster, obwohl sein Sohn ja nur in einer Mannschaft spielen kann. Er - und seine Kollegen - macht/machen das klasse, wie ich beim Zusehen beim Training und zwei Spielen feststellen konnte. Lars wurde Tabellenführer in meiner Tabelle der ehrenamtlichen Fußballer.

 

Er konnte den Spitzenplatz aber nicht lange halten.

Unseren Urlaub 2021 verbrachten meine Frau und ich auf der wunderschönen Nordseeinsel Föhr. Unser Spaziergang am Sonntag führte uns "rein zufällig" am Sportplatz des FSV Wyk-Föhr vorbei. Dort stand das Kreisligaspiel gegen die SG Rödemis-Schobull an. Wer auf dem Portal Fussball.de nachschauen möchte: Schleswig-Holstein, Kreisliga, Nordfriesland. Der Naturrasen lag in einem kleinen Wäldchen, war großflächig uneben, aber ein Sportplatz den ich jedem Kunstrasen vorziehe. Diese Kreisliga hat 12 Mannschaften. Über ihr gibt es noch die Verbandsliga, die Landesliga und die Oberliga, unten drunter noch die Kreisklassen A - C. Die Kreisliga ist also die 4. Klasse, trotzdem leiten Schiedsrichtergespanne die Spiele.

Rödemis und Schobull sind Ortsteile von dem ca. 60 km entfernten Husum.

 

Jetzt ein kleiner Ausflug in die Erdkunde. Föhr ist eine Insel und kann nur als Fußgänger oder mit dem Auto mit der Fähre erreicht werden. Kosten mit dem Auto, wenn man nicht gerade auf Föhr wohnt, sind nicht unerheblich. Die Fähre startet / endet in Dagebüll und ist mit Be- und Entladen etwas über 1 Stunde unterwegs.

 

Ein Blick über den Tellerrand lohnt immer. Ich kam mit Fans vom Gastverein aus Husum ins Gespräch. Man war morgens um 09.00 Uhr mit eigenen Fahrzeugen zu Hause aufgebrochen. Die Fahrzeuge wurden im 60 km entfernten Dagebüll auf dem Parkplatz abgestellt. Zu Fuß wurde der knappe Kilometer zur Fähre zurückgelegt und dann übergesetzt. Bei Ankunft in Wyk mussten dann noch die knapp 1,5 km zum Sportplatz zu Fuß und mit Gepäck zurückgelegt werden. Das Spiel begann um 14.00 Uhr und endete mit dem Ergebnis von 1:3. Anschließend trat der Gast in umgekehrter Reihenfolge die Heimreise an, wo sie gegen 20.00 Uhr angekommen sein dürften.

So, liebe Sportfreunde, Ihr werdet selbst auf den Trichter kommen, dass Derbys zwischen Heringen/Mensfelden und Dauborn/Neesbach, zwischen Nieder- und Oberbrechen, Hadamar gegen Dietkirchen oder Eschhofen gegen Hollese eigentlich Kindergeburtstage sind. Die Gastmannschaften müssen nur einmal in der Saison nach Wyk auf Föhr. Die Wyker haben aber 11 Auswärtsspiele und die geschilderte Tour somit alle 14 Tage vor sich. Der Verein hat 2 Kleinbusse gekauft und in Dagebüll abgestellt. Die Wyker Spieler setzen nach Dagebüll über und fahren dann mit den Vereinsbussen zu den Spielorten. Das spart erheblich Geld für die Überfahrt mit Fahrzeugen.

Erinnert sei auch an die Schiedsrichtergespanne, die vom Festland kommen und den gleichen Zeitaufwand wie die Gastmannschaften haben. Sie kriegen 150.- € an Aufwendungen.

 

Meine Geschichte ist aber noch nicht zu Ende. Auf dem Weg zum Abendessen kamen meine Frau und ich an diesem Sonntag an einem Kleinspielfeld an einer Schule vorbei. Ein Erwachsener und zwei Jungs kickten dort. Ein Kleiner hob mit einem sauberen Vollspannstoß den Ball über den Erwachsenen ins Tor. Der Ball übt noch immer eine magische Anziehungskraft auf den 65-jährigen Schorsch Horz aus. Ich quatschte den Kleinen an. "In welcher Jugend kickst Du denn? Minikicker oder F-Jugend?" Seine leicht schnippische Antwort "E-Jugend" quittierte ich mit "dafür bist Du aber ziemlich kurz geraten!" Als ich ihn fragte, wo sein älterer Bruder, der war eineinhalb Kopf größer, spielt, holte ich mir die nächste passende Antwort ab: "Das ist nicht mein Bruder, das ist mein Freund. Und außerdem bin ich älter wie der!"

Der Steppke war so richtig nach meinem Geschmack, der Erwachsene sein Vater. Wir kamen ins Gespräch, natürlich über Fußball. Der Vater spielte in der 2. Mannschaft von Wyk, zudem betreute er die E-Jugend seines Sohnes. Am kommenden Samstag stehe das Spiel / das Derby gegen das Team Sylt an.

 

Jetzt kommt ein 2. Ausflug in die Erdkunde. Sylt ist eine weitere nordfriesische Insel, von Föhr aus kann man auf sie hinüberblicken. Über den Hindenburgdamm fahren Züge, auch Autoreisezüge nach Sylt. Start ist in Niebüll. Für die E-Jugend von Wyk ergab sich folgende Anreise: mit der Fähre von Wyk nach Dagebüll, dort in die Kleinbusse und die 20 km bis nach Niebüll. Mit dem Zug als Fahrgast / ohne Auto über den Damm bis zum Bahnhof Westerland und von dort (ich weiß nicht, ob zu Fuß oder mit dem Taxi) bis zum Sportzentrum Sylt-Ost in der Keitumer Landstraße. Und anschließend das Ganze wieder retour. Der Vater sagte, dass für dieses E-Jugendspiel der gesamte Samstag draufgehen würde. Wer aber in die leuchtenden Kinderaugen gesehen hat, als mein kleiner Freund von dem bevorstehenden Spiel erzählte, kann den Vater verstehen. Es gab in früheren Zeiten mal die Werbung "ich gehe meilenweit für eine Camel-Filter". Abgewandelt könnte der Vater sagen "ich fahre meilenweit und stundenlang für ein Fußballspiel / für die Glückseligkeit meines Sohnes!" Ich habe nachgesehen: mein kleiner Freund hat das Derby gegen Sylt 8:1 gewonnen.

 

Ich ziehe ein Fazit: Für Infantino, für Blatter, für Ceferin, für Platini, für Niersbach, Grindel, Keller und Koch, für Neuer, Alaba und Messi, für alle Verantwortlichen, die eine WM in Katar mit vielen ausgebeuteten und gestorbenen Bauarbeitern zugelassen haben und für viele andere ist der Fußball nur ein Mittel, ihre Geldgeilheit und Gier zu befriedigen. Den wahren Sinn des Fußballspiels werdet Ihr nie erkennen können und erleben. Spielt am besten im Frühjahr und Sommer eine Weltmeisterschaft und im Herbst/Winter eine Europameisterschaft. Gründet die Inzuchtliga mit 20 europäischen Vereinen. Versucht weiterhin, den letzten Cent aus dem Fußball in Eure Taschen zu holen. Ihr schadet dem Fußball schwer und werdet es weiterhin.
ABER: solange es einen Lars Weller, es Fußballer von Wyk-Föhr, ihre Gegner vom Festland und kleine Jungs mit leuchtenden Augen in Erwartung eines Spiels gibt, werdet Ihr es nicht schaffen, den Fußball kaputt zu machen.