Anzeige

Verdammt lang her – Claus Coester greift in die Klamottenkiste

Von oben nach unten: Gawliczek, Allemann, Strehl.

Eine Bierbank und die vergebliche Jagd nach Tonis Trikot

„Tempora mutantur nos et mutamur in illis“. Das kannten schon die alten Römer. Und diese Weisheit gilt bis heute. Auch für die Fußballwelt. „Die Zeiten ändern sich und wir in ihnen“.

In der „Fußball-Antike“, in der der Ball natürlich auch schon rund, das Spielfeld rechteckig und das hölzerne Tor mit seinen kantigscharfen  Pfosten 7,32 Meter breit war, die Schiedsrichter ausschließlich in Schwarz über den Platz liefen, auch damals schon eine Pfeife hatten, manchmal, wenn sie keinen guten Tag erwischt hatten, auch eine solche waren, konnte man sich als Lausbub während des Spiels von den Stehplatzrängen einfach wegstehlen und stand plötzlich hinter der Trainerbank von Schalke 04, vor der Haupttribüne, die gerade einmal 3500 Zuschauer fasste. Schauplatz: Müngersdorfer Stadion Köln – „Hauptkampfbahn“! Die Knappen aus dem Ruhrpott mussten sich am Rhein mit dem Berliner Qualifikanten Tasmania 1900 messen. Die Tribünenbesucher konnten sogar sitzen, waren durch die Überdachung vor Wind und Wetter geschützt. Die anderen bis zu  60.000 standen auf den Rängen und wurden  ganz schön nass, wenn der Himmel die Schleusen öffnete.

Der Lausbub spürte fast den Atem von Schalkes Trainer Georg Gawliczek, der mit seinem Co-Trainer, Mannschaftsarzt und Masseur auf einer Bierbank am Spielfeldrand hockte. „Los, zieh ab, Mani“, hieß die Anweisung an Schalke-Stürmer Manfred Kreuz, der an der Außenlinie vorbeifegte. Die Instruktionen der heutigen Trainer an ihre Akteure sind die gleichen wie damals. Die Mikrofone übertragen sie uns zurzeit – Corona sei Dank – aus den gähnend leeren Arenen ins Wohnzimmer. „Geh drauf“ oder „Zieh ab“ oder in der Premier-League „“Go“ oder ähnlich. Heute ist der Begleittross am Spielfeldrand mindestens verdreifacht. Übrigens langte  anno Tobak eine einzige Bierbank für den kleinen Betreuerstab, daneben ein Wasserkasten. Das war’s. Den Begriff „Auswechselspieler“ mussten Sprachschöpfer innerhalb der nächsten 10 Jahre  erst noch erfinden. Konnte der Keeper verletzungsbedingt oder durch Platzverweis nicht mehr mitmachen, stellte sich halt ein Feldspieler zwischen die Pfosten. Auf jeden ging es, wenn einer oder zwei den bösen Buben gespielt hatten, zu zehnt oder neunt weiter.

Zum Glück schien an diesem Samstag im April 1962 die Sonne über Müngersdorf. Keiner brauchte einen Regenschirm. Die „Königsblauen“ vom Schalker Markt mussten sich gegen die Berliner Tasmanen am Ende mit einem mageren Punkt begnügen. Spielführer Bernie Klodt & Co ließen so dem 1. FC Nürnberg schließlich den Vortritt zum Finale nach Berlin. Im Olympiastadion hatte dann der „Club“  beim 0:4 gegen den 1. FC Köln nicht den Hauch einer Chance. Zum ersten Mal feierten die Kölner die deutsche Meisterschaft. Die „Salatschüssel“ fand für ein Jahr ihren Platz in der Vitrine am Geißbockheim.  Das hier beschriebene Ereignis im Müngersdorfer Stadion fand ohne den FC statt. Wegen der bald anstehenden Fußballweltmeisterschaft in Chile war der Spielplan der Endrunde um die deutsche Meisterschaft verkürzt und so fand ein Gruppenspiel jeweils auf neutralem Platz statt.

Die Zeiten änderten sich jetzt rasch. 1963 wurde die Bundesliga aus der Taufe gehoben. Am Ende war der 1. FC Köln zum zweiten Mal deutscher Meister geworden. Der erste Meister in der Geschichte der Bundesliga, der für immer seinen Platz im Geschichtsbuch des deutschen Fußballs haben wird. In der zweiten Bundesligasaison 1964/65  ging der Titel an Werder Bremen, die Rheinländer mussten sich damals mit der Vizemeisterschaft begnügen. Das letzte Heimspiel der Geißböcke gegen den 1. FC Nürnberg hatte nur statistischen Wert. Man trennte sich in einem lustlosen Match mit einem billigen torlosen Remis.

In den Reihen  der „Cluberer“ hatte der namhafte Schweizer Nationalspieler Toni Allemann seinen letzten Auftritt. Und dessen Trikot wollte der Chronist sich angeln. Nach dem Schlusspfiff kurz über die Absperrung geschwungen und die Verfolgungsjagd auf den Schweizer  begann. Auf der langen Treppe Richtung Kabinen erwischte ich ihn: “Herr Allemann, kann ich Ihr Trikot haben. Sie gehen doch zurück in die Schweiz“. Der Schweizer ehrfürchtig in unverkennbarem Schwyzer Deutsch: „Da musst du den Strehl fragen.“ Heinz Strehl, der bis heute erfolgreichste Torjäger der Franken in der Bundesliga und mit ein paar Länderspielen, war Kapitän und hatte offensichtlich über diese schwerwiegende Frage die letzte Entscheidung. Den blonden Mittelstürmer sah ich gerade in der Kabine verschwinden, in der auch ich mich Sekunden später unvermittelt wiederfand. Da wurde ich von Alv Riemke in die Schranken gewiesen. Der war in der Geschichte des deutschen Fußballs kein „Nobody“. „“Wen suchst du denn hier?“ Ich nannte ihm mein Ansinnen. „Das geht leider nicht, dann ist der Trikotsatz unvollständig. Schreib‘ mir eine Postkarte und ich schicke dir aus meinem Sportgeschäft ein T-Shirt“. Das tat ich. Auf das Trikot warte ich bis heute noch. Waren das Zeiten!

 

 

https://www.weltfussball.de/spielbericht/deutsche-meisterschaft-1961-1962-gruppe-1-tasmania-gropiusstadt-fc-schalke-04/ (Gruppenspiel Deutsche Meisterschaft Schalke gegen Tasmania 1900 in Köln) Link 01

 

https://www.weltfussball.de/alle_spiele/deutsche-meisterschaft-1961-1962/ (Spielplan Link 02)

https://www.weltfussball.de/spielbericht/bundesliga-1964-1965-1-fc-koeln-1-fc-nuernberg/  (letztes Heimspiel 1964/65 Link 03)

 

https://www.weltfussball.de/spielbericht/deutsche-meisterschaft-1961-1962-finale-1-fc-koeln-1-fc-nuernberg/  (Endspiel 1962 Berlin Link 03)

 

https://de.wikipedia.org/wiki/Heinz_Strehl

https://de.wikipedia.org/wiki/Alwin_Riemke