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Nationalität – Internationalität

Schieflage in der Begrifflichkeit

flw24-Kolumnist Claus Coester.

Was ist eigentlich gemeint, wenn wir heutzutage von „englischem“, „deutschem“ oder „spanischem“ Fußball reden? Oder vom Fußball in „England“ oder in „Deutschland“ oder in „Spanien“? Wir könnten durchaus den Kreis erweitern nach Frankreich oder Italien.

Hier wollen wir nun exemplarisch nur von England und Deutschland reden. Die Spezialisten behaupten, England oder eben der „englische“ Fußball sei Deutschland oder eben dem „deutschen“ Fußball in seiner Entwicklung davongelaufen. Dafür scheinen sie dann auch ein unschlagbares Argument zu haben. In Kürze treffen nämlich vier Vereine aus der Premier League, der in jeder Hinsicht stärksten Liga der Welt, in den beiden europäischen Vereinswettbewerben Champions League und Europa League aufeinander.

Ausgerechnet in Madrid, das der dort ortsansässige königliche Klub in den letzten drei Jahren zur fast uneinnehmbaren Festung gemacht hatte, werden Tottenham Hotspur und der Liverpool FC um die begehrteste europäische Vereinstrophäe kämpfen. Absurderweise müssen die beiden Londoner Klubs Chelsea FC und Arsenal FC, deren Stadien Stamford Bridge und Emirates gerade einmal 15 Kilometer auseinander liegen, eine Reise von etwa 4.500 Kilometern nach Baku am Kaspischen Meer unternehmen, um den ersten Platz in der Europa League unter sich auszumachen. Londoner Stadtmeisterschaft in Aserbeidschan. Also dreimal London, einmal Liverpool. Wenn das nicht „Very British“ ist. Geht’s noch englischer? Wohl kaum. Aber was ist daran wirklich „very British“?

Klubs als internationale Gebilde

Betrachten wir die genannten Vereine nun einmal etwas näher. Schnell kommen wir zu der Erkenntnis, dass die Attribute „englisch“ oder „deutsch“ – auf „deutsch“ kommen wir später noch zurück - lediglich ihre Daseinsberechtigung haben in dem Sinne, dass sich deren Standorte eben in England oder Deutschland befinden. Man könnte die Teams samt Trainerstab und allem, was dazugehört, ohne Probleme umsiedeln. Beispielsweise geographisch Liverpool FC nach Transsilvanien (das liegt in Rumänien)…Na…sagen wir nach Kopenhagen und Chelsea FC nach Warschau. Die Spieler müssten doch dort den gleichen qualitativen Fußball zelebrieren können wie in ihrer jetzigen Heimstatt. Okay, für die Fans wäre es wirklich jammerschade. 

Aber jetzt mal wieder ernst. Die heutigen Vereine sind durch die Globalisierung nicht erst seit gestern Konstrukte, die man überall verorten könnte. Gib den Spielern einen Ball und einen feinen Rasen. Und dann „Geht’s raus und spielt’s Fußball“. Mit den entsprechenden nationalen Attributen hat das kaum einen Zusammenhang. Sagen wir, es handelt sich hier ganz einfach um eine Etikettierung.

Etats und Herkunft der Angestellten

Diese gerade genannte These der Etikettierung oder Typisierung lässt sich ja leicht belegen, schaut man sich die Kader der Vereine an. Beginnen wir mit dem Liverpool FC. Bekanntlich ist hier für den Höhenflug ein deutscher Übungsleiter verantwortlich, der aus dem beschaulichen „Ländle“ stammt. Der Kader der Reds, der 24 Spieler umfasst, ausgesucht auf dem ganzen Globus, hat einen aktuellen Marktwert von rund 950 Millionen Euro. Kein Wunder: Hier tummeln sich 18 Nationalspieler. Aus rund zehn Nationen kommen die Profis. Neun Engländer und ein Schotte mischen sich darunter. Ein vergleichsweise noch hoher Anteil.

Chelsea FC, der von Tabakfreund Maurizio Sarri aus Neapel gecoacht wird und der mit 885 Millionen Marktwert hinter dem Klopp-Klub rangiert, hat 26 Profis im Kader, darunter 19 Nationalspieler und 19 Legionäre. An der Stamford Bridge haben acht Profis einen englischen Pass. Die können mit den neun von der Anfield Road Minderheitenschutz beantragen.

Bleiben wir noch einen kleinen Moment auf der Insel und beschäftigen uns mit dem Klub, der gerne nach Madrid gereist wäre: Manchester City. Dessen wichtigster Mann ist Mansour Bin Zayed Alhyan. Das ist kein Spieler. Keine Bange, wir haben keinen 200-Millionen-Transfer verpasst. Dieser Herr hat mit Fußball wahrscheinlich wenig am Hut. Aber er ist Mitglied der Herrscherfamilie von Abu Dhabi und hat sich vor ein paar Jahren einen Herzenswunsch erfüllt, als er Eigentümer der Sky Blues wurde. Eine Briefmarkensammlung hatte er schon. Da nimmt es kein Wunder, dass die Citizens – so wird die Guardiola-Truppe genannt - mit einem Kaderwert von1,14 Milliarden Euro den Vogel abschießen. 26 Spieler, 19 Nationalspieler, 19 Legionäre aus rund 10 Nationen. Die vier Engländer müssen sich ziemlich verloren vorkommen. Aber Raheem Sterling, Fabian Delphs, Youngster Phil Foden und Kyle Walker spielen immerhin regelmäßig.

Wie schaut’s in der Bundesliga aus?

Beleuchten wir Bayern München, Borussia Dortmund, RB Leipzig und Eintracht Frankfurt. Die Marktwerte der Kader in der Reihenfolge. Bayern lässt mit 772 Millionen sogar noch den „englischen“ FC Arsenal hinter sich (625 Millionen). Borussia Dortmund sieht mit 602 Millionen noch die Hacken der Bayern. Dann setzt die Talfahrt ein. RB Leipzig liegt mit 432 Millionen noch gut im Rennen. Eintracht Frankfurt benötigt mit 261 Millionen schon ein Fernglas.

Die „deutschen“ internationalen Mischungen: Der neue deutsche Meister von der Isar hat aktuell 25 Spieler im Kader, darunter 18 Nationalspieler. 13 Legionäre aus 12 Nationen entrichten – hoffentlich –  beim deutschen Fiskus ihre Pflicht. Borussia Dortmund hat einen numerisch gleichstarken Kader wie die Bayern, darunter 17 Legionäre aus 16 Nationen. Sieben Borussen zeigen bei Auslandsreisen einen deutschen Perso. Der „Ausbildungsklub“ RB Leipzig hat unter den 26 registrierten Profis 15 Nationalspieler, 20 Legionäre. Acht Spieler haben einen deutschen Pass, darunter Torhüter Nummer 3 und 4, die nie in Erscheinung treten.

Kommen wir zu guter Letzt zu Eintracht Frankfurt. Mit 34 Profis haben die Adler nominell einen aufgeblähten Kader. Neun davon sind Nationalspieler ohne den Bundesadler auf der Brust. 22 Legionäre aus rund 20 Nationen. Von den neun Akteuren, die nur ein deutsches Dokument besitzen, stehen im Schnitt drei (Trapp, Rode, da Costa) regelmäßig samstags im Schaufenster.

Nun, Frankfurt ist eben eine internationale Stadt. Europäisch. Nicht nur im Fußball. Auch die Finanzen sprechen da ein Wort mit. Wer hat schon eine EZB? Und die Eintracht ist wieder international. Nebenbei: Da müssten doch eigentlich noch ein paar Kisten „Ebbelwoi“ den Main runter bis zur Mündung gehen. Und kein Zweifel: In der Choreo sind die Eintracht-Fans längst Europameister. Da wurde selbst den Blues von der Stamford Bridge beim Erklingen der UEFA-Hymne im Hinspiel ganz mulmig.