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Vom Wahn, unbedingt etwas verändern zu müssen

Regeländerungen zum 01.06.2019

flw24 Kolumnist Georg "Schorsch" Horz.

Meine Fußballerlaufbahn begann 1962 in der DIII-Jugend des SV Eschhofen. Onkel Edgar (Roth) war unser Trainer und vermittelte uns die Begeisterung für das einfache Spiel. Hinten dicht halten, vorne dem Gegner ein Ei ins Nest legen, ein Tor mehr schießen als der Gegner ist leicht verständlich. Die Einfachheit machte auch aus, dass die Regeln leicht zu verstehen waren.

Natürlich gab es in der Zeit nach 1962 Regeländerungen, die gut waren. Gelbe und rote Signalkarten wurden eingeführt, weil bei der Weltmeisterschaft 1966 ein Schiedsrichter einem südamerikanischen Spieler nicht vermitteln konnte, dass er nach einem üblen Foul des Feldes verwiesen war. Diese "unüberbrückbaren Sprachbarrieren" bei persönlichen Strafen wurden danach mit den Signalkarten beseitigt. Hoffentlich beruft sich nicht irgendwann ein Ignorant auf Farbenblindheit, dann müssen wir noch unterschiedliche Formen (rotes Viereck, gelbes Dreieck) einführen.

Zu begrüßen war auch die Möglichkeit des Auswechseln. Insbesondere bei Verletzungen schafft es Chancengleichheit und ist somit mit dem Fair-Play-Gedanken vereinbar. In der Verlängerung einen weiteren Spieler einwechseln, ist auch absolut okay, von mir aus könnten es auch zwei sein.

Beim Elfmeterschießen bei Spielen, die entschieden werden müssen, muss am Ende einer, der seinen Schuss vergeigt, die "arme Sau" sein. Torwarte werden dann zu Helden, wenn sie einen entscheidenden Schuss parieren. Elfmeterschießen zur Spielentscheidung ist aber immer noch das geringere Übel als der Losentscheid, den es früher gab. Dann und wann könnte es aber auch wieder einmal ein Wiederholungsspiel zur Entscheidung sein, dies würde auch den sportlichen Wert erhöhen. Die Bayern-Fans erinnern sich in diesem Zusammenhang an ein Endspiel gegen Atheletico Madrid, im Hinspiel rettete Katsche Schwarzenbeck mit einem Schuss aus 40 Metern seine Mannschaft ins Wiederholungsspiel, was mit 4 - 0 (2 x Müller, 2 x Hoeneß) gewonnen wurde.

Es gab Zeiten, da führte schon im Abseits stehen zu einem indirekten Freistoß, man brauchte sich noch nicht einmal am Spiel beteiligen. Heute muss man dafür Abseits spielen, auch diese Regel hat zu einer großen Qualitätssteigerung des Spiels beigetragen.

3 statt 2 Punkte für einen Sieg waren auch okay, weil sie eigentlich das Offensivspiel fördern. 

In den letzten 10 Jahren, seit Ende 2009 bin ich wieder Schiedsrichter, müssen wir (Spielleiter) uns jährlich im Sommer vermehrt mit Regeländerungen beschäftigen, deren Notwendigkeit wir größtenteils nicht verstehen und deren Anwendbarkeit uns auch erhebliche Probleme schafft und zu endlosen Diskussionen führt.

Verantwortlich für mancherlei Unsinn ist ein Gremium, welches sich IFAB (international Football Association Board) nennt. Dieses ist in seiner Zusammensetzung und Arbeitsweise schon seltsam. In ihm sitzen 4 Mitglieder der FIFA und jeweils ein Mitglied aus England, Nordirland, Schottland und Wales. Macht insgesamt 8 Stimmen. Die Mehrheit für eine Regeländerung liegt bei 6 Stimmen. Rechnen können die also auch nicht, ich komme auf 5 Stimmen für die Mehrheit. Meine Rechnung, die nicht stimmt, macht eventuell aus, dass die FIFA-Mitglieder nur en bloc (entweder alle dafür oder alle dagegen) abstimmen dürfen.

Für mich steht zweifelsfrei fest, dass sich die Herren von der IFAB nur an den Bedürfnissen des Profi-Fußballs mit Schiedsrichtergespann, einem 4. Mann und eventuell Torrichtern und Videoassistenten orientieren. Ob die Regeln für einen Einzelschiedsrichter bei FC Gudesding gegen Union Niederrad praktikabel sind, interessiert die Regelhüter nicht. Die Anzahl der Spiele mit Schiedsrichtergespann gegenüber den "Einzelgängern" ist äußerst gering.

Jetzt hat dieser Gremium IFAB wieder zugeschlagen, ab 01.06.2019 dürft Ihr, liebe Fußballfans, insbesondere Spieler, Euch auf die folgenden Regeländerungen einstellen. Ich habe mir erlaubt, dass eine oder andere aus meiner Sicht zu kommentieren.      

Das International Football Association Board (IFAB) hat bei seinem Jahrestreffen in Aberdeen mehrere Änderungen der Fußball-Regeln beschlossen.

  • So gelten per Hand erzielte Tore künftig grundsätzlich nicht, unabhängig ob eine Absicht vorlag. Gleiches gilt für Tore, denen in der Entstehung ein Handspiel der angreifenden Mannschaft vorausging. Über weitere Entscheidungen zu angedachten Änderungen der Handspielregel gab es zunächst keine Informationen seitens des IFAB.
  • Wir müssen uns darauf einstellen, dass das ohnehin schon problematische Handspiel noch problematischer wird. Wir müssen künftig zwischen einem offensiven Handspiel und einem defensiven Handspiel unterscheiden, Handspiel wird nicht mehr gleich Handspiel sein. Was machen wir, wenn der Defensivspieler den Ball straffrei mit der Hand oder dem Arm berührt, dadurch in Ballbesitz kommt und einen Konter einleitet, der zum Tor führt? Dann ahnden wir das eigentlich straffreie Handspiel, was sich 15 Sekunden vorher in der anderen Spielhälfte ereignet hat? Gehts noch? Ich habe gelernt und mein Wissen an Spieler, die ich trainiert habe, weitergegeben: die Hand nach Möglichkeit hinter dem Rücken zu verstecken, um einen Kontakt Ball - Hand / Arm unbedingt zu vermeiden und keine Gefahr zu laufen, einen Strafstoß gegen sich zu bekommen. Ging der Ball trotzdem an die Hand oder den Arm, gab es halt den Strafstoß. Ich bin immer wieder erstaunt, was heutzutage alles eine natürliche Hand-/Armbewegung und kein Handspiel sein soll. Diese Regeländerung wird zu noch mehr Chaos führen und die ohnehin schon verunsicherten Schiedsrichter noch unsicherer machen.
  • Rote und gelbe Karten kann es künftig auch für Trainer und Offizielle geben.
  • Diese Regelung ist okay und schafft uns Schiedsrichtern vielleicht die Möglichkeit, dass Palaver an den Seitenlinien und Trainerbänken zu unterbinden / zu reduzieren, ohne mit den dafür Verantwortlichen in den Dialog treten zu müssen. Aber: was machen wir auf den Amateurplätzen mit Trainern, denen wir rot gezeigt haben? Muss er oder sie das Sportgelände verlassen? Oder darf er / sie als Zuschauer bleiben (und weiterhin Einfluss nehmen)?
  • Spieler der angreifenden Mannschaft dürfen bei Freistößen nicht mehr in der Mauer stehen.
  • Was soll das? Der Schiedsrichter hat die Möglichkeit der persönlichen Strafe für die, die in der Mauer über die Strenge schlagen. Eigentlich liegt das Recht bei der Mannschaft, die den Freistoß zugesprochen bekommen hat. Ich mache das Fass aber schnell wieder zu, sonst kommt noch jemand auf die Idee, dass die abwehrende Mannschaft bei Freistößen keine Mauer stellen darf. Nicht bedacht haben die Regelhüter, dass das wesentlich größere Problem für uns Schiedsrichter Flanken nach Eckbällen und Freistößen in den Strafraum sind, hier wird viel gehalten und gezerrt, eigentlich könnte man jede Situation abpfeifen.
  • Bei Auswechslungen muss der ausgewechselte Spieler das Spielfeld an der nächstgelegenen Auslinie verlassen.
  • Warum das? Der Schiedsrichter hat die Möglichkeit der persönlichen Strafe. Er kann den Spieler / die Spielerin, die zeitschindend das Spielfeld verlassen, mit gelb bestrafen. Viel wirksamer aber ist, die vergeudete Zeit, die unter den Bestimmungen der Vorteilsregel nachgespielt (oder nicht nachgespielt), an die 90 Minuten dran zu hängen. Generell: über Regeländerungen (gilt im normalen Leben auch für Gesetzesänderungen) sollte ich mir erst dann Gedanken machen, wenn ich die vorhandenen Regeln erfolglos angewendet habe.
  • Torhüter müssen bei Elfmetern nur noch mit einem Fuß die Torlinie berühren.
  • Das erledigt sich von selbst. Ich habe den Test zu Hause auf dem Teppich gemacht. Mit einem Bein nach vorne schränke ich meine Bewegungsmöglichkeiten erheblich ein. Die größte Chance, als Torhüter den Ball aus der Ecke zu tauchen, habe ich dann, wenn meine Füße / Beine nebeneinander stehen. Sich als Torhüter auf der Torlinie seitlich hin- und herzubewegen, ist ja seit Jahren erlaubt. Das unerlaubte Bewegen nach vorne zum Nachteil des Schützen wird leider von uns Schiedsrichtern viel zu selten mit der Wiederholung des Strafstoßes geahndet. 
  • In bestimmten Situationen kann es künftig einen Schiedsrichter-Ball geben, wenn der Referee zuvor angeschossen wurde.
  • Hier wird exemplarisch aufgeführt, dass der Schiedsrichter angeschossen wird und der Ball auf direktem Wege ins Tor geht. Der- oder diejenigen, die das schon einmal erlebt haben, mögen sich bitte mal bei FLW24 melden. Diesem Spielleiter würde ich dann gerne ein paar Tipps zu seinem Stellungsspiel geben. Es sollte bei der Auslegung "Schiedsrichter ist Luft" (hat uns Onkel Edgar beigebracht) bleiben.
  • Bei Torabstößen oder Freistößen im eigenen Strafraum muss der Ball den Sechzehner nicht mehr verlassen.
  • Wenn ich keine Probleme habe, schaffe ich mir welche. Bei Freistößen haben wir das Problem des Abstandes von 9,15 Meter, den zunächst keiner einhält, mit viel Aufwand - bei den Profis mit Spray - muss die Distanz hergestellt werden. Bei Torabstößen und Freistößen im Strafraum gab es noch nie die geringsten Probleme, weil der Ball erst dann gespielt werden durfte, wenn er den Strafraum verlassen hat. Die neue Regel wird dazu führen, den Torabstoß ins Tor zu blocken und dabei den Mindestabstand von 9,15 Meter zu unterschreiten. Warum muss etwas geändert werden, obwohl es sich schon immer bewährt hat?                                                                                                   
  • Sportsfreunde, hier rate ich Euch Wachsamkeit an. In der Vergangenheit habt Ihr Euch nach meinen Erfahrungen wenig bis gar nicht mit Regeländerungen befasst. Hier könnte es für Euch zum Rohrkrepierer werden, wenn Ihr Euch auf die alte Regel beruft, wenn der Stürmer sich in Eurem Strafraum den abgestoßenen Ball holt und ein Tor erzielt. Unwissenheit schützt nicht vor Strafe (in Form eines Gegentores). 

Ich habe nichts zu der Zusammensetzung der IFAB und zum Alter seiner Mitglieder gefunden, habe aber so meine Befürchtungen. Ich vermute, es war lange Zeit her, dass die Regelhüter mal als Spieler oder Schiedsrichter(assistent) auf dem Platz gestanden haben. Etwas Praxiserfahrung täte eigentlich jeder Regeländerung gut. Und etwas weniger Änderungen, insbesondere was das eigentliche Spiel betrifft, wäre oftmals mehr. Was sich bewährt hat, sollte nicht geändert werden.

Am vergangenen Donnerstag durfte ich Max Stillger als Vertrauensperson zu einer Anhörung beim DFB begleiten. Es war sehr viel von Respekt die Rede. Deshalb sage ich jetzt nichts mehr zur Mitgliedern der IFAB.

Erstaunt bin ich über viele Fußballspieler, die das Regelwerk nicht richtig kennen. Sie könnten den einen oder anderen Vorteil für ihr Spiel erzielen.

Bis bald auf irgendeinem Sportplatz

Euer Schorsch Horz