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Fußball als Spielball der Geschichte

Wie Deutsche sich gegen Deutsche international qualifizieren mussten

flw24 Kolumnist Claus Coester.

Wer fußball-historisch nicht ganz auf den Kopf gefallen ist, weiß, dass der DFB im Jahr 1900 in Leipzig gegründet wurde. Leipzig spielt in der deutschen Fußballhistorie eine weitere Rolle. Die Liste der deutschen Fußballmeister wird nämlich vom VFB Leipzig angeführt. Der schlug im ersten deutschen Endspiel den DFC Prag auf der Exerzierwiese in Hamburg-Altona mit 7:2. Prag? Das sind ja böhmische Dörfer! Ist das korrekt? Was ist denn da los? Die braunen Idioten sind doch noch gar nicht am Werk. Ist denn schon 1938? Das Münchener Abkommen ist doch noch in weiter Ferne. Und Kaiser Wilhelm schwingt doch noch sein Zepter. Und Prag liegt in der k.u.k. Monarchie Österreich-Ungarn.

Ja um Himmels Willen, was suchen denn Prager im deutschen Fußball? Nun, Ende des 19. Jahrhunderts war in der heutigen tschechischen Hauptstadt von deutsch-national gesinnten Juden der Fußballklub DFC Prag ins Leben gerufen worden. So etwa, als würden Auswanderer aus Niederzeuzheim in Kentucky, das die meisten sicher vom KFC-Imbiss am Limburger ICE-Bahnhof kennen, einen Klub mit deutschen Sportlern gründen und DFB-Grindel gewährte diesen ein Gastspielrecht in der Bundesliga. Da dürfte Steuer-Uli vom Tegernsee aber bestimmt poltern: „Mir san mir“.

Spaß beiseite! Der DFB war ja damals noch ein zartes Pflänzlein und erlaubte daher den rührigen Prager Kickern in der deutschen Endrunde mitzumischen. Er war ja froh, eine Mannschaft mehr zu haben. Recht so! Dass sie gleich ins Endspiel marschieren, diese Prager, das konnte ja niemand ahnen. Okay, es ging für die Sportler aus Böhmen, die natürlich nicht für die deutsche Nationalmannschaft eingesetzt werden durften, auf dem Exerzierfeld an der Elbe ja auch gründlich in die Hose. Nein, eine ganze Reihe der böhmischen DFC-Asse spielte tatsächlich international für Österreich.

Ab 1938 kamen dann die Hakenkreuz-Fetischisten auf ihre Kosten. Die „Ösies“ durften jetzt im Großdeutschen Reich mitspielen. Einer ihrer Landsleute, der sich mit seiner Blondi mal auf dem Obersalzberg, mal in München, mal in Berlin rumlungerte, hatte das erlaubt. Im ersten Versuch gab’s für die Fußballer aus der Hochburg Wien, wo im Donau-Land die Fußball-Musik spielte, gegen Christian Heidels Ex-Arbeitgeber gehörig was auf die Mütze. Die Knappen vom Schalker Markt fegten mit 9:0 Admira Wien aus dem Berliner Olympia-Stadion. Die deftigste Schlappe aller deutschen Endspiele. Die Rache der Österreicher folgte zwei Jahre später, als Rapid Wien dem berühmten Schalker Kreisel um Fritz Szepan und Ernst Kuzorra das Nachsehen gab. Wiederum in Berlin gab es dieses Mal Balsam für die Alpen-Kicker. Nebenbei: Die Frage „Wie hat Deutschland – Österreich gespielt?“ wurde damals von dem Gefragten mit der Gegenfrage lakonisch beschieden „Wogegen?“

Als dann – igitt igitt - mit der braunen Soße endlich Schluss war (es wird einem – Pardon - kotzübel, denkt man an die gegenwärtigen Alternativen), ging es mit dem Fußball weiter. Bevor es zum „Wunder von Bern“ kam, mussten die Deutschen, d.h. jetzt nur die Wessi-Deutschen, sich für das Turnier in der Schweiz erst einmal qualifizieren. Die Brüder jenseits des Eisernen Vorhanges durften damals nur zugucken. Und jetzt spielt die Geschichte abermals verrückt. In den Nachwehen der Katastrophe, die der Typ mit dem Schnäuzer aus Braunau am Inn der Welt eingebrockt hatte – allein hatte er das natürlich nicht geschafft! – musste sich die DFB-Elf um Fritz Walter & Co. zunächst qualifizieren. Und gegen wen? Gegen die mit den gelben Nummernschildern? Nein, die waren noch nicht auf dem Radar! Richtig, gegen die Wikinger aus Norwegen und ….und…man glaubt es nicht: gegen das  kleine Saarland. Hallo, geht’s noch? Tatsächlich! Das Saarland war noch kein konstitutiver Bestandteil der Bundesrepublik Deutschland, der es erst 1957 wurde. Zuvor hatten seine Bewohner eine eigene Staatsbürgerschaft und Währung. Auf dieser Grundlage nahm das Saarland 1952 mit eigener Mannschaft an den Olympischen Spielen in Helsinki und an der Qualifikation für die Fußballweltmeisterschaft in der Schweiz teil. Ja so spielt die Geschichte – oder besser gesagt: So spielen die Mächtigen mit den Menschen.

Blättern wir im Geschichtsbuch zwanzig Jahre weiter. Abermals spielen Deutsche gegen Deutsche – welch‘ Absurdum! - international. Jetzt waren auch die „Ossies“ in der FIFA salonfähig. In Hamburg spuckte Jürgen Sparwasser vom 1. FC Magdeburg den Bundesligakickern gehörig in die Suppe und fügte Schöns Buben um Kaiser Franz die einzige Niederlage zu. Die erholten sich und bezwangen die mit den gelben Auto-Kennzeichen dann glücklich im Münchener Finale. Die Mannen um Johan Cruyff waren – das muss man einfach zugestehen – eigentlich das herausragende Team des ganzen Turniers.

Dann bescherte uns die Geschichte den 9. November 1989 und 3. Oktober 1990. Da die deutsche Frucht noch nicht ganz reif war, durfte Sammer & Co in Italien noch nicht mitwirken. 1994  bei der WM in Trumps Staaten durften die inzwischen aus Dresden und Berlin in den Westen gewechselten Cracks mitwirken, konnten aber das deutsche Debakel nicht verhindern. Späte Genugtuung dann für „Motzki“ Sammer schließlich 1996 im alten Wembley, als die DFB-Elf gegen Tschechien – Golden Goal durch Oliver Bierhoff – Europas Krone bis dato zum letzten Mal holen konnte. Was für Wirren der Fußballgeschichte! Ob sie je ein Revival erleben? Me was es nit.