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Optimierung oder Perfektion?

flw24-Kolumnist Michael von Kunhardt.

In der heutigen Kolumne möchte ich das Streben nach Optimierung und Perfektion im Sport, im Speziellen natürlich im Fußball, thematisieren. Alle Erkenntnisse lassen sich wie die meisten unserer mentalen Themen auch wieder wunderbar auf das Business und Privatleben übertragen.

Im Hinblick auf die nächsten sehr spannenden Fußball-Monate mit den Meisterschafts- und Abstiegsduellen in den Ligen, der hochqualitativen Endphase in der laufenden Champions-League, dem nationalen Wettbewerb um die Champions-League-Plätze 2018/2019, der Entscheidung im DFB-Pokal und natürlich der anstehenden Fußball- Weltmeisterschaft erscheint mir das Thema „Optimierung oder Perfektion?“ als äußerst interessant. Denn jetzt gilt es, jetzt wird die Bestleistung abverlangt. Jetzt geht`s um Perfektion  - oder lieber nicht?

Blicken wir einmal vier Jahre zurück und erinnern uns an die siegreiche WM 2014.

Damals war es sicherlich keine perfekte Mannschaft, die ihre Reise nach Brasilien antrat. Beispielsweise konnte Marco Reus, der im WM-Kader fest eingeplant war, verletzungsbedingt nicht teilnehmen. Auch einige andere nominierte Spieler hatten im Vorfeld aufgrund verschiedenster Verletzungen eine mehr oder weniger lange „Zwangspause“ einlegen müssen und waren deshalb nicht „perfekt“ vorbereitet.

Trotz einiger Stolpersteine, konnte die deutsche Mannschaft als Team überzeugen und den Pokal zum vierten Mal nach Hause bringen.

Dies lag sicherlich nicht an einer perfekten Zusammensetzung der Nationalmannschaft, sondern daran, dass die Deutsche Fußballnationalmannschaft die Optimierung aller relevanten Prozesse inklusive der mentalen Stärke des Teams besser gestaltet hat als alle anderen konkurrierenden Teams.

Wer im Sport etwas erreichen will hat sich permanent um Optimierung zu kümmern - jedoch nicht um Perfektion. Warum ist Perfektion im Sport (und nicht nur im Sport) generell ein abzuratendes Ziel?

Die Antwort: Es gibt schlicht und einfach keine Perfektion. DIE perfekte Mannschaft gibt es auch nicht! Die Perfektion selbst ist immer ein sehr fragwürdiges Ziel, da sie per se nicht erreicht werden kann. Das Streben nach Perfektion fördert vielmehr eher Unzufriedenheit und Demotivation und initiiert für die meisten Perfektionisten einen enormen Druck ohne jegliche Misserfolgstoleranz dem die Allerwenigsten gewachsen sind. (Querverweis: Interview Per Mertesacker).

Der Optimierungsprozess hingegen ist ein beständiger Weg, ein Wachstumsprozess und somit ein Lebensprinzip. Das ist in unserer mentalen Arbeit ein ganz, ganz wesentlicher Aspekt und eine sehr bedeutende Unterscheidung zu dem Streben nach Perfektion.

Hierzu ein Beispiel zu einem genau so stattgefundenen Dialog aus meiner mentalen Arbeit mit einer Profitennisspielerin:

MvK: „Wie gehst Du mit Dir selbst nach einem Match um, wenn Du gewinnst oder verlierst?“

Spielerin: „Wenn ich verliere, ist es eine Katastrophe  - wenn ich gewinne ist es für mich normal, ich könnte auch sagen „neutral“ “

MvK: „Und wann freust Du Dich mal so richtig über Deine Leistung?“

Spielerin: „Das steht mir noch nicht zu – ich bin noch zu weit von der Perfektion entfernt“.

Welch eine Verschwendung von Lebens- und Entwicklungsfreude!

Natürlich liegt bei ihr die Ursache für diesen freudlosen Umgang mit sich selbst in ihrer Prägung & Konditionierung im Jugendalter. Und natürlich haben wir gemeinsam daran gearbeitet, dass sie sich heute zum Glück mit viel mehr Freude ihrer sehr guten Entwicklung widmen kann. Ich denke, dass dieser Fall vor allem sehr deutlich aufzeigt, was die Gefahr bei dem Thema Perfektion ist.

Zurück zum Fußball:

Das Trainerteam und die Spieler können dementsprechend dazu beitragen, dass beispielsweise eine bereits sehr gute Mannschaft sich weiterhin entwickelt, Fortschritte macht, Schwächen überwindet und Stärken noch deutlicher ausbildet. Wir sprechen also dann von einem fortwährendem Optimierungsprozess der Mannschaft, bei dem auch das zwischenzeitliche Scheitern ein Teil des Fortschritts ist, wenn die richtigen Schlüsse daraus gezogen werden.

Auch während der nun kommenden Vorbereitung für die Weltmeisterschaft in Russland sollte ebenso nicht die Perfektion, sondern eine Optimierung aller Mannschaftsprozesse angestrebt werden. Denn perfekt ist eine Sache erst dann, wenn sie nicht mehr weiter verbessert werden kann. Potenzial zur Verbesserung wird es jedoch immer und zu jeder Zeit geben – erst recht, wenn wir von einem Teamsport sprechen, da viel mehr Faktoren auf das Gesamtergebnis einwirken als im Individualsport.

Auch in der Fußball-Bundesliga geht es für einige Vereine in die letzte, alles entscheidende Runde. Besonders für Wolfsburg, Mainz, Köln und wieder einmal Hamburg wird es in den kommenden Wochen noch einmal bitter ernst, wenn es nicht schon zu spät ist. Als Sieger aus dem Abstiegskampf werden generell diejenigen Vereine hervorgehen, die das aktuell bestehende Set-Up am schnellsten und am besten optimieren.

Perfektion ist ein Prozess zur Erreichung von Vollkommenheit. Bei der Optimierung wird die bestmögliche Annäherung zur Erreichung eines als aktuell optimal angenommen Zustandes angestrebt und das ist genau das, was wir bei einer erfolgreichen Entwicklung im Sport auch und vor allem auf mentaler Ebene forcieren.

“Nach Perfektion zu streben, sich ihr annähern zu wollen ist okay, aber nicht, sie tatsächlich erreichen zu wollen. Wer das nicht versteht, wird ewig unzufrieden und unglücklich sein.“
(Oliver Kahn)

„Besser, unvollkommene Entscheidungen durchführen, als ständig nach vollkommenen Entscheidungen zu suchen, die es niemals geben wird.“
(Charles de Gaulle)

„Wer alles perfekt haben und stets perfekt sein will, wird perfekt unglücklich.“
(Walter Lundin, amerikanischer Kameramann)

„Perfektion ist Lähmung.“
(Winston Churchill)

„One of the basic rules of the universe is that nothing is perfect. Perfection simply doesn´t exist … without imperfection, neither you nor I would exist.”

Übersetzung:

„Eine der wesentlichen/grundlegenden Regeln des Universums ist, dass nichts perfekt ist. Perfektion existiert einfach/schlichtweg nicht ... ohne Imperfektion/ Unvollkommenheit würden weder Du noch ich existieren.“
(Stephen Hawking)

Ich wünsche uns allen viel Erfolg und Freude beim Optimieren!

Bis zur nächsten Kolumne  - wir lesen uns.

Herzlichst und sportlichst

Michael von Kunhardt