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Strukturelle Schieflage im deutschen Fußball

Ein Flickenteppich aus Regionalligen und Oberligen bietet ein fragwürdiges buntes Bild

flw24-Kolumnist Claus Coester.

Der Unterbau der drei Profiligen im deutschen Fußball gleicht in diesen Zeiten einem Mixgebräu, das ganz fade schmeckt. Die Technokraten in den Entscheidungsebenen haben es innerhalb von rund anderthalb Jahrzehnten zu Wege gebracht, dem oberen Amateurfußball und dem halbprofessionellen Bereich den Stempel der Langeweile aufzudrücken. 

Bessere Zeiten

Bis 1994 gab es nach Größe der Landesverbände je eine oder zwei oder drei Oberligen, die unter den beiden Profiligen Bundesliga und Zweite Bundesliga den Unterbau auf höchster Amateurebene repräsentierten. Für Hessen war das die Oberliga Hessen, in die 1991 der RSV Würges zum zweiten Mal aufgestiegen war. Man bewegte sich auf der dritthöchsten Ebene im Ligensystem des deutschen Fußballs. Es war dem Dorfverein, der über Jahrzehnte das Aushängeschild des hiesigen Fußballkreises war, damals zwar nur ein Jahr dort gegönnt. Aber in dieser Liga tummelte sich eine Reihe von Hochkarätern wie Kickers Offenbach, Viktoria Aschaffenburg, FSV Frankfurt oder Hessen Kassel. Es waren attraktive Spiele vor häufig guter Kulisse im vierstelligen Bereich. Im Laufe der 1990er Jahre und im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrtausends setzte eine Reformwut ein. In mehreren Regionalliga-Phasen wurde entweder abgeschafft oder neu gegründet. Aktuell ist der Regionalligabereich überschaubar. Aus sechs Qualifikanten bleiben drei Aufsteiger übrig. Direktaufsteiger allerdings Fehlanzeige. Die Regionalliga ist sicher im deutschen Fußball die einzige, aus der der Meister nicht automatisch aufsteigt. Ein Absurdum.

Wirrwarr in Etage 5

Unüberschaubar wird es auf Ebene 5. Hier bewegt sich eine Herde von 14 (!) Oberligen, in der sich auch die Hessenliga befindet. Wie unattraktiv das Niemandsland Oberliga ist, belegen die Zuschauerzahlen. Das Mittel für sämtliche Oberligen beträgt für die jetzt zu Ende gehende Saison 243 Zuschauer. Wow! In Hessen ist Borussia Fulda der Publikumsmagnet. Die 16 Heimspiele der Borussen wollten im Schnitt immerhin 1.034 Zuschauer sehen. Die Osthessen lassen mit ihrem guten Zuschauerzuspruch den Schnitt für unser Bundesland auf 324 hochschießen. Die rote Laterne im Zuschauerranking trägt Absteiger Rot-Weiß Darmstadt mit einem Schnitt von 109. Zum Hessenpokal-Finalisten Rot-Weiß Hadamar wanderten durchschnittlich 226 Fußballfans an die Faulbacher Straße.

Kümmerlich am Mittelrhein

Das Armenhaus der Enthusiasten im deutschen Oberligafußball ist die Oberliga Mittelrhein mit 149 durchschnittlich Interessierten. Hier belegt der Meister FC Wegberg-Beek mit sage und schreibe 233 Besuchern einen tristen Spitzenplatz. Zu Hilal Maroc Bergheim, das der gleichen Liga angehört, wollten nur 92 kommen, vermutlich in der großen Mehrheit marokkanische Landsleute und dann noch eine Handvoll mitgereister Gäste.

Baumberg mit Geisterspielen

Den bundesdeutschen Pleitegeier diesbezüglich schossen die Sportfreunde Baumberg in der Oberliga Niederrhein ab. Ganze 88 lösten dort im Schnitt eine Eintrittskarte. In der gleichen Liga konnte sich der Traditionsklub KFC Uerdingen, der ja schon Geschichte im Europa-Pokal geschrieben hat, über den höchsten Durchschnitt aller Oberligen freuen. In der 34.500 Zuschauer fassenden Krefelder Grotenburg verloren sich immerhin im Schnitt 1.781 Fans. 

England macht’s anders

Noch ein kurzer Blick zu unseren Brexit-Freunden. Hier ist der Fußball ganz anders organisiert. Die Premier League thront über allem. Darunter bauen sich weitere vier eingleisige Profiligen auf: Premiership, League One, League Two und National League (Conference). Erst die sechste Liga im Fußball auf der britischen Insel ist in zwei Gruppen gesplittet: Conference North und Conference South. Ab der siebten Ebene, das ist bei uns die Gruppenliga, setzt eine Atomisierung ein. In England folgen dann noch Ligen bis in die 24. Ebene. Da sind wir etwas bescheidener. Etwa bei Ebene 12 ist bei uns Schluss. Im Hessischen Fußballverband auf Stufe 11. Dazu noch die Reserven außer Konkurrenz.