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Ein roter Teutone jenseits der Alpen

Der Rheinländer Schnellinger mutierte zum Italo-Germanen

flw24-Kolumnist Claus Coester. Foto: flw24

Nein, am Ende haben sie ihn nicht vergessen, die Oberen beim DFB. Im letzten Jahr wurde dem bald 78jährigen ehemaligen Weltklasseverteidiger Karl-Heinz Schnellinger lange nach Beendigung seiner großartigen Karriere doch noch eine späte Ehre zuteil. Der Wahlitaliener erhielt einen Preis des DFB aus der Hand von Ehrenspielführer Uwe Seeler. Ein Jahrzehnt lang hatte Schnellinger nach allgemeiner Auffassung zu den besten Verteidigern der Welt gehört. Sepp Herberger hatte den Fuss, wie die Rheinländer den Rotschopf tauften, bereits auf Empfehlung von Helmut Schön als Jugendnationalspieler ins Visier genommen.

Aus der zweiten Liga West zum Weltturnier

Groß geworden war der Ausnahmefußballer beim damaligen Zweitligisten SG Düren 99, von wo ihn – ein Novum - der Weltmeistertrainer von 1954 zur WM nach Schweden mitnahm und dort auch einsetzte.

Nach dem Turnier musste der logische Wechsel des großen Talentes zum 1. FC Köln folgen, dem Bayern München der 1960er Jahre. Drei Teilnahmen an deutschen Endspielen markieren die nationalen Höhepunkte des rheinischen Großklubs, darunter der erste Meistertitel des 1. FC Köln beim 4:0 gegen den 1. FC Nürnberg im Berliner Olympiastadion. Mit dem ein Jahr später folgenden letzten Endspiel zur Ermittlung des Meisters in der Geschichte des DFB war auch Schnellingers Karriere im deutschen Vereinsfußball zu Ende, sieht man von dem Abgesang nach der Italienzeit beim einjährigen Gastspiel bei Tennis Borussia Berlin ab. Immerhin wurde er auf diese Weise noch zum Bundesligaspieler. Die Domstädter zogen beim 1:3 im Stuttgarter Finale 1963 allerdings gegen Borussia Dortmund den Kürzeren. Auf jeden Fall verabschiedete sich der geborene Abwehrstratege mit dem Ehrentreffer aus seiner Heimat.

Go South

Italien war damals das gelobte Land für Auslandsprofis. Aus aller Herren Länder strömten Elitespieler auf die Appeninenhalbinsel. Uwe Seeler, den Real Madrid angeln wollte, hatte seinem HSV auf ewig die Treue geschworen. Schnellinger folgte dem Lockruf in den Süden und sollte bis heute zum erfolgreichsten deutschen Fußballprofi im Ausland werden. Über AC Mantua und AS Rom gelangte er schließlich ins Eldorado des italienischen Fußballs zum AC Mailand. Dort in San Siro sollte Carlo bald für fast eine ganze Dekade fester Bestandteil eines Dream-Teams werden. Darin tummelten sich so klangvolle Namen wie Gianni Rivera, Cesare Maldini, der Vater des eine Generation später berühmt gewordenen Paolo, der des Schweden Kurt Hamrin oder Giovanni „Flasche leer“ Trapattoni. 222 Ligaeinsätze, dazu ungezählte Pokalspiele und Einsätze in den europäischen Wettbewerben künden vom Erfolg in der lombardischen Metropole.

Ansehnliche Erfolge im Vereinsfußball

Auf Schnellingers Liste stehen alle großen Titel des Vereinsfußballs: deutscher Meister mit dem 1. FC Köln, italienischer Meister und mehrfacher Pokalsieger, Sieger in der Champions League und Weltpokalsieger sowie Sieger im Europapokal der Pokalsieger. Ausnahmslos mit Milan. 

Die Nationalmannschaft

Unvergessen sind Schnellingers Auftritte in der deutschen Nationalmannschaft. Hier verzeichnet die Chronik vier Teilnahmen an Weltmeisterschaften von 1958 bis 1970. Den Weltmeistertitel hat das Fußballschicksal ihm allerdings nicht gegönnt. 1966 erlebte er das berühmteste „Nicht-Tor“ der Fußballgeschichte mit und erzielte im „Jahrhundertspiel“ von Mexiko City 1970 gegen Italien kurz vor Ende der regulären Spielzeit den Ausgleich. Der Verteidiger hatte der Squadra Azzurra, in deren Reihen einige aus Schnellingers Mailänder Clubteam standen, auf dem Weg ins WM-Finale gegen Brasilien beinahe noch ein Bein gestellt. 

Irgendwann war dann mit dem Fußball Schluss. Noch heute schnalzen in Mailand die, die Carlo haben spielen sehen, mit der Zunge, wenn auf ihn die Rede kommt. In Oberitalien hat der einstige Fußballprofi schließlich vor einem halben Jahrhundert seinen Lebensmittelpunkt gewählt. 

Reporterlegende setzt journalistisches Denkmal 

Ernst Huberty, eine der Legenden unter den Fußballreportern, die  dieser Tage ihren 90. Geburtstag feierte und die Glutschlacht vor mehr als 100.000 Zuschauern aus dem Kessel des Aztekenstadions in die deutschen Wohnzimmer transportierte, hat dem fast vergessenen Fußballstar aus dem rheinischen Düren ungewollt ein pointiertes Monument gesetzt. „Ausgerechnet Schnellinger“ ging der lapidare Kommentar über den Äther, als der Fuss im „Jahrhunderspiel“ die Deutschen noch einmal herangebracht hatte.