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Von Cola, Holz und anderem

flw24 Kolumnist Claus Coester.

Im Fußball gibt es zahlreiche Mythen und Legenden. Die Generation, die sie erlebt, tradiert diese und verleiht ihnen ihren Platz in der Geschichte. Sie ranken sich um Personen, Ereignisse, Sportstätten, Entscheidungen. Oft ist es eine Mixtur aus verschiedenen Elementen. Wir wollen an das eine oder andere Geschehnis der besonderen Art erinnern.

Morsches Holz und italienische Schauspielkunst

Das Jahr 1971 hat in der Geschichte von Borussia Mönchengladbach durch zwei Ereignisse eine besondere Berühmtheit erlangt. Schauplatz war die Heimstatt des Traditionsklubs vom Niederrhein, das heute nicht mehr existierende Bökelbergstadion. Das war in den frühen 1960er Jahren genau an der Stelle errichtet worden, wo die Borussen seit dem frühen 20. Jahrhundert in „Dä Kull“ gespielt hatten, einem Stadion, das seinen Namen von der ehemaligen dort ausgebeuteten Kiesgrube erhalten hatte. Am 3. April 1971 erlitt am Bökelberg im Bundesligaspiel des Tabellenführers gegen Werder Bremen ein Torpfosten einen Ermüdungsbruch, als Borussen-Stürmer Herbert Laumen sich wie ein Fisch im Netz verfing und unter dem Gelächter der Fans in der Nordkurve das Torgehäuse zum Einsturz brachte. Da kein Ersatztor herbeigeschafft wurde, pfiff Schiedsrichter Meuser die Begegnung in der 88. Minute kurzerhand ab. Der Punktabzug bei Spielwertung von 0:2 kostete die Ballkünstler um Günter Netzer und Jupp Heynckes dennoch nicht die Meisterschaft. Der Fohlenelf gelang es in diesem Jahr als erstem Team in der Bundesliga, den Titel erfolgreich zu verteidigen. Der marode Pfosten veranlasste den DFB zur Einführung runder Aluminiumpfosten.

Im Herbst desselben Jahres sollte der Bökelberg ein weiteres Highlight seiner Geschichte erleben. Im Achtelfinalhinspiel des Europapokals der Landesmeister gegen Inter Mailand spielten sich die Fohlen in einen Cola-Rausch und besiegten den italienischen Meister mit 7:1. Nach einer knappen halben Stunde wurde Mailands Stürmer Boninsegna von einer, wie der niederländische Unparteiische Jef Dorpmans später zu Protokoll gab, leeren Cola-Dose getroffen und mimte von Mitspielern und Masseur animiert in südländischer Theatralik den sterbenden Schwan. Der Büchsenwurf wurde der Elf vom Niederrhein zum sportlichen Verhängnis. Nach der Niederlage im Rückspiel im Stadio San Siro (2:4) annullierte die UEFA den grandiosen Heimsieg und ordnete ein Wiederholungsspiel im Berliner Olympiastadion an. In diesem kam die Weisweiler-Elf nicht über ein 0:0 hinaus und schied aus. Die Sternstunde der Borussia vom 20. Oktober war verblasst. Übrigens erlitt Gladbachs Lugi Müller bei einer rüden Attacke Boninsegnas im Olympiastadion einen Schienbeinbruch. 

Noch einmal Holz und ein paar Pferde gegen eine Viertelmillion

Unter vielen großen Ereignissen stand zweimal das Wembley Stadion in der britischen Hauptstadt in einem besonderen  Fokus. Bei der Einweihung des neuen Empire Stadiums 1923 – so der damals offizielle Name des Mekkas des Fußballs -, in deren Rahmen das Endspiel um den englischen Fußballpokal (FA-Cup) ausgerichtet werden sollte, hatten sich der Schätzung nach rund 250 Tausend Menschen auf den Weg in den Londoner Norden  gemacht. Berittene Polizei konnte das drohende Chaos einigermaßen regulieren. Unter den Vierbeinern, die im Einsatz waren, heimste ein Schimmel namens Billy den Ruhm ein. Noch heute erinnert am neuen Wembley Stadion die White-Horse-Bridge an jenen 28. April und an das sog. White-Horse-Final. Übrigens standen sich die Bolton Wanderers und Westham United gegenüber. Die Hammers aus dem Londoner Osten unterlagen mit 0:2. Beim ersten Tor – so heißt es – ging ein Zuschauer, der dicht hinter dem Tornetz stand k.o. Boltons Schütze David Jack hatte offensichtlich schärfer als Wyatt Earp gefeuert.

Das andere Kapitel aus der Geschichte des berühmten Londoner Fußballtempels schrieb am 30. Juli 1966 der aserbaidschanische Linienrichter Tofiq Bahramov. Im Endspiel um die Fußballweltmeisterschaft zwischen Deutschland und England signalisierte er dem Schweizer Referee Gottfried Dienst wild gestikulierend das berühmteste Nicht-Tor der Geschichte. Eine sprachliche Kommunikation zwischen den beiden gab es nicht.  In Deutschland ist das Nicht-Tor unter Wembley-Tor in den Sprachgebrauch eingezogen. Auf der Insel redet man lapidar vom dritten Tor. Man wird wissen, warum. 

Kollaps in Bernabeu

Um keinen Aprilscherz handelte es sich, als am ersten Tag des vierten Monats im Jahre 1998 noch vor dem Anpfiff der Champions League Begegnung zwischen Real Madrid und Borussia Dortmund das erste Tor fiel. Doch es sollte nicht zählen. Eines der 732 Zentimeter breiten und 244 Zentimeter hohen Gehäuse war im Estadio Santiago Bernabeu umgefallen. Offensichtlich übermotivierte spanische Fans hatten überschüssige Kräfte in der Fußball-Oper von Madrid sinnlos walten lassen. Lang andauernde groteske Versuche, den Unfall zu reparieren, scheiterten, bis es gelang, ein Ersatztor zu installieren. Mit 70minütiger Verspätung konnte der Schiedsrichter die Partie, die für die Westfalen verloren ging, anpfeifen.

Dem Corpus Delicti vom Bökelberg, jener berüchtigten Cola-Dose, die Borussia Mönchengladbach um den Einzug ins Viertelfinale brachte, hat Jef Dorpmans, der Schiedsrichter, in seinem niederländischen Fußballmuseum einen zweifelhaften Ehrenplatz eingeräumt. Im Foyer des neuen Wembley Stadions können Besucher das Originalgebälk vom WM-Finale 1966 bestaunen oder auch nicht.