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Tradition gegen Retorte

flw24-Kolumnist Max Stillger.

In Zeiten, in denen mit Red Bull Leipzig, SAP Sinsheim, Volkswagen Wolfsburg und Bayer Leverkusen insgesamt vier von 18 Bundesligavereinen unter der Dominanz von Investoren bzw. Groß-Sponsoren stehen, haben die Fussball-Stammtische in der Republik jede Menge Gesprächsstoff zum Konkurrenzkampf „Tradition gegen Retorte“. „Die bringen keine Zuschauer mit und nehmen Traditionsclubs die Plätze weg“ lautet eine Plattitüde, die oft gegen die ungeliebten „Werksclubs“ in Interviews eingesetzt wird. Aber genau, wie sich Aluminium-Treffer, Schiedsrichter-Fehlentscheidungen und Last-Minute-Treffer im Laufe einer Saison meistens ausgleichen, ist die Fussball-Welt im Grunde durch Auf- und Abstiegsregelungen bis in die C-Klasse fair und gerecht aufgeteilt.

Die Tabelle lügt nicht 

Dass Vereine wie Kickers Offenbach, Waldhof Mannheim, Rot-Weiss Essen und Alemannia Aachen in der 4. Liga „rum krebsen“ liegt sicherlich nicht daran, dass die o.g. vier ihnen den Platz wegnehmen. Am Bieberer Berg oder auf dem Tivoli wurde einfach schlechter Fussball gespielt und die verantwortlichen Funktionäre hatten in der Vergangenheit nicht die Qualität ihrer Kollegen in Mainz, Ingolstadt oder Freiburg. Bei den ganzen Ost-Clubs spielt sicherlich eine große Rolle, dass nach der Wende ein kompletter Umbruch stattfand und man wirtschaftlich mit den West-Clubs nicht mithalten konnte. Aber Beispiele wie Hansa Rostock oder Energie Cottbus zeigen, dass es durchaus phasenweise auch für die Bundesliga reichte. Und bei den „Bayern des Ostens“ Dynamo Dresden sehe ich mittlerweile auch wieder eine realistische Chance in den kommenden Jahren im Oberhaus mitzumischen. Auch in Magdeburg ist man wieder auf einem guten Weg.

Leicester lässt grüßen

Eine völlig verrückte Nummer spielt sich seit einigen Jahren in England ab und ist in dieser Woche ins internationale Blickfeld gerutscht. Die Story spielt in der Nähe des Londoner „Wohnzimmers“ von Boris Becker, in Wimbledon. Neben Tennis wurde dort bis Ende der 90er Jahre auch einigermaßen erfolgreich Fussball gespielt. 1988 gewann man sogar durch einen 1:0 Sieg gegen den FC Liverpool den FA-Cup. Der bekannteste Spieler des FC Wimbledon war Winnie „die Axt“ Jones, einer der legendärsten Treter, die der Fussball je hervorgebracht hat. Durch Missmanagment ging der FC Wimbledon im Jahr 2002 in Konkurs und die neuen Eigentümer verlegten den Verein kurzerhand ins 100 km entfernte Milton Keynes und benannten ihn dann – entgegen ursprünglicher Beteuerungen und gegen wütende Proteste der Wimbledon-Fans – in Milton Keynes Dons um. In Londoner Stadtteil Wimbledon gründeten „Edelfans“ den AFC Wimbledon, der daraufhin im Jahr 2004 in der neunten Liga den Spielbetrieb aufnahm, während die Milton Keynes Dons den Platz des FC Wimbledon in der damaligen 3. Liga übernahmen. 14 Jahre und 6 Aufstiege später spielen der AFC Wimbledon und die Milton Keynes Dons gemeinsam in der „Football League One“ der dritthöchsten englischen Liga. Und am vorletzten Wochenende rangierte der AFC Wimbledon erstmals in der Tabelle vor den Milton Keynes Dons. Man stelle sich das mal vor: Anhänger des SSV Markranstädt (die haben nämlich 2009 ihre Fussballabteilung und vor allem ihren Platz in der damaligen Oberliga Nordost an RB Leipzig abgegeben) gründen einen Verein, fangen ganz unten in der C-Liga an und spielen dann im Jahr 2030 in einer Liga gegen RB Leipzig. Nichts anderes ist in Wimbledon passiert und das kann man wohl als eine der größten Sensationen in der Geschichte des Fussballs bezeichnen.

Showdown am 10.12.

In Milton Keynes gibt es das größte Einkaufszentrum Englands und sogar die größte „IN-Door“ Skihalle Europas. Außerdem - reiner Zufall oder schließt sich der Kreis? –  befindet sich in der Stadt ca. 70 km nördlich von London auch die Zentrale des Red Bull Racing Teams. Für alle Fussball-Verrückten: Am Samstag, den 10.12. um 16:00 Uhr kommt es zum großen Showdown – it‘s Derbytime in Milton Keynes. Wobei: Meine Sympathien liegen da klar bei den Gästen. Ich werd auf alle Fälle mal berichten, wie’s ausgegangen ist.