Anzeige

Erwin brachte Farbe in die Nationalmannschaft

Von einem fast vergessenen Fußballstar

flw24-Kolumnist Claus Coester. (Foto: flw24)

„Die Zeiten ändern sich und wir ändern uns in ihnen“ – Das ist eine alte Lebensweisheit. Sie gilt auch für den Fußball. Wir schreiben das Jahr 1974. Die DFB-Elf hatte in diesem Sommer zum zweiten Mal die Weltmeisterschaft gewonnen. Im Dezember musste der Weltmeister zu einem  Qualifikationsspiel für die Europameisterschaft 1976 antreten. Zumindest zwei Besonderheiten sind in dem Zusammenhang hervorzuheben: Zum ersten Mal absolvierte die DFB-Auswahl ein Pflichtspiel auf der Mittelmeerinsel Malta und zum ersten Mal befand sich im Kader der Nationalmannschaft ein farbiger Profi. Erwin Kostedde, der damalige Torjäger der Offenbacher Kickers, die am 14. Spieltag gerade die Spitze der Bundesligatabelle zierten, stand in der Startelf. Auf dem Hartplatz (!) unweit der Hauptstadt Valetta hatte Bundestrainer Helmut Schön ihn auf die Mittelstürmerposition gesetzt.

Startelf beim 1:0-Sieg am 22.12.1974 über Malta: Franz Beckenbauer (Bayern München), Norbert Nigbur (Schalke 04), Bernd Cullmann (1. FC Köln), Charly Körbel (Eintracht Frankfurt), Erwin Kostedde (Kickers Offenbach), Rainer Bonhof (Borussia Mönchengladbach), Bernd Hölzenbein (Eintracht Frankfurt), Heinz Flohe (1. FC Köln), Josef Pirrung (1. FC Kaiserslautern), Bernard Dietz (MSV Duisburg), Berti Vogts (Borussia Mönchengladbach).

Gerd Müller, der Bomber der Nation, hatte seine internationale Karriere nach dem Triumph über die Niederlande in München beendet und Franz Beckenbauer hatte sich für den erfolgreichen Torjäger der Hessen stark gemacht. Mit der Bayern-Legende Gerd Müller hatte sein potentieller Erbe außer dem Torinstinkt die überdimensionierten Oberschenkel gemeinsam. Dass diese bei der Einkleidung des Nationalnovizen in die Maßanzüge zu letztlich lösbaren Problemen führten, sei nur eine nette Randnotiz. Insgesamt kam Kostedde dann auf nur drei Einsätze im Trikot mit dem Adler. Mit Klaus Fischer und anderen drängte eine mächtige Konkurrenz nach.

„Schwarze Perle“

Im Vereinsfußball durchlief der Techniker, der auch „Schwarze Perle“ genannt wurde, eine respektable Karriere mit über 300 Spielen für Duisburg, Offenbach, Berlin (Hertha), Dortmund und Bremen. Beschämend ist es daran zu erinnern, dass gelegentlich sog. Fans in Dortmund dem eigenen Spieler immer wieder rassistisch zusetzten, so dass die Verantwortlichen mit dem Gedanken spielten, ihren Stürmer manchmal nur bei Auswärtsspielen einzusetzen. Zu den Engagements in deutschen Vereinen kamen u.a. noch weitere drei Jahre beim erfolgreichen belgischen Klub Standard Lüttich, den Kostedde zu drei Meisterschaften in Folge schoss.

1946 hatte der spätere Fußballer im westfälischen Münster als Sohn einer deutschen Mutter und eines afro-amerikanischen Besatzungssoldaten das Licht der Welt erblickt. Seinen Vater hat er nie gesehen. Seine Profikarriere begann er beim heimatlichen Zweitligisten Preußen Münster.

3.000 DM Entschädigung waren ein Hohn

Wie manchem erfolgreichen Profi war das Glück Erwin Kostedde im Wirtschaftlichen nicht hold. Er geriet wie manch anderer in die Fänge eines betrügerischen Anlageberaters und verlor nahezu 1 Million DM. Anfang der 1990er Jahre wurde er durch vage und dubiose Zeugenaussagen und grob-fehlerhafte polizeiliche Ermittlungen zu Unrecht in Zusammenhang mit einem bewaffneten Raubüberfall auf eine Spielhalle gebracht. Sechs Monate saß er in Untersuchungshaft. 3.000 DM Entschädigung waren ein Hohn. „Sie hätten mir zehn Millionen geben können, mein Leben war kaputt“, ist die ernüchternde Feststellung des früheren Torjägers, der bald 71 Jahre alt wird und mit seiner Ehefrau im westfälischen Telgte lebt.

Im deutschen Fußball wird Erwin Kostedde immer seinen Platz haben. Wenn man so will, hat er die Tür aufgestoßen für all die dunkelhäutigen Ballkünstler, die nach und nach den Weg in die Nationalmannschaft gefunden haben. Dies ist zum Glück heute eine Normalität. In die Reihe, die Erwin Kostedde durch seine Nominierung auf einem maltesischen Sandplatz eröffnete, gehören u. William Georg „Jimmy“ Hartwig, der als Leistungsträger des Hamburger SV mit Hrubesch, Magath & Co einst gegen Iuventus Turin den Europapokal der Landesmeister (= Champions League) gewann, Gerald Asamoah, David Odonkor, Dennis Aogo, Cacau, Jerome Boateng, Antonio Rüdiger und als vorerst Jüngster der Schalker Leroy Sané.

Im gerade erschienenen Buch „111 Gründe, Kickers Offenbach zu lieben“ haben die Autoren dem Münsteraner ein kleines literarisches Denkmal gesetzt. Der 15. Grund beschäftigt sich mit dem früheren Bomber, der am Bieberer Berg bis heute Kultstatus genießt. Um den zu festigen, trägt das traditionelle Fanzine der Kickers-Ultras den Namen ERWIN.