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„Mit Teigresten zum Hessenliga-Spiel“

Das Jonas Herdering-Portrait

Jonas Herdering bei der Arbeit. Foto: Pascal Litzinger

Es ist 21 Uhr am frühen Freitagabend. Der beste Zeitpunkt der ganzen Woche. Wo sich die meisten jungen Leute gerade überlegen, mit welchem Outfit sie in der anstehenden Nacht den größten Erfolg beim anderen (oder auch beim gleichen) Geschlecht haben oder sich zum hippen Moscow Mule-„Vorglühen“ treffen, fängt für einen jungen Mann aus Elbtal-Dorchheim gerade die Arbeit an. Jonas Herdering, Junior-Chef der familiengeführte Herdering Bäckerei, schnürt sich die weiße Bäcker-Schürze um und schaltet in der noch menschenleeren Backstube die Geräte an. Es ist ein normaler Freitagabend für ihn. Er arbeitet im elterlichen Bäckerei-Betrieb, der von seinem Großvater gegründet wurde, und er wird diesen einmal übernehmen.

Eine bewusste Entscheidung, wie Jonas Herdering verrät, die er vor rund fünf Jahren im Alter von 22 Lenzen traf. Nach dem überzeugenden Abitur mit der Note 1,4 an der Adolf-Reichwein-Schule ging es für ihn zunächst nach Mainz und dann nach Gießen zum Studium. Nach zwei Semestern Wirtschafts- und Ernährungswissenschaften hatte er aber genug und fasste die Entscheidung im elterlichen Betrieb in Elbtal anzufangen. Lediglich ein halbes Jahr später hatte er in Rekordzeit bereits die Gesellenprüfung in der Tasche.

Nebenher konnte er seinem Hobby nachgehen, aufgrund dessen ihn viele Leute in der Region um Limburg kennen. Denn Jonas ist ein begnadeter Fußballer und gehört zweifelsfrei zu den besten Spielern in seiner Heimatregion. Seit mehr als zwei Jahren ist er der Kapitän und Kopf des SV Rot Weiß Hadamar, der ranghöchsten Mannschaft im Fußballkreis, in der er nun im sechsten Jahr in Folge in Hessens Eliteliga für Furore sorgt. Fast gleichbeginnend mit seinem Engagement in Hadamar entschied er sich auch für die Backstube und gegen die Uni-Bibliothek. In der ersten Saison bei den Fürstenstädtern steuerte er in 30 Spielen direkt 10 Tore bei. Insgesamt sind es laut Transfermarkt.de bis heute 62 Tore und 41 Vorlagen in 170 Spielen. Für Hadamar ist der Mittelfeldstratege ein richtiger Glücksgriff.

Schlafzeiten wie Ronaldo

Bäckerei und Fußball zu vereinen klingt einfach, ist es aber nicht. Die Arbeitszeiten in der Backstube lassen den meisten Menschen die Haare zu Berge steigen. Für gewöhnlich beginnt Jonas um 1.45 Uhr seine Schicht unter der Woche. Gegen 11.30 Uhr am nächsten Morgen ist dann Schluss. Nur freitags startet er schon um 21 Uhr. Weil eben Samstagnachmittags für gewöhnlich die Hessenliga-Spiele anstehen und er morgens vor den Spielen noch etwas schlafen möchte. Durchaus verständlich. Seine Schlafzeiten sind ohnehin beeindruckend und erinnern an einen gewissen Cristiano Ronaldo, der dem Vernehmen nach ja fünfmal am Tag für 90 Minuten schläft - wenn´s denn stimmt.

Bei Jonas sieht es ähnlich aus. „Unter der Woche schlafe ich einmal von 22.30 Uhr bis 1.30 Uhr und dann noch einmal von 12 Uhr mittags bis 14 Uhr“. Mit den mageren fünf Stunden hat er sich arrangiert. „Das ist alles Gewöhnungssache“, sagt er. Wenn er an Spieltagen nach einer arbeitsreichen Nacht - mit etwa 250 handgemachten Broten, 100 Baguette, 3.000 Brötchen und rund 80 gebackenen Kuchen - morgens um 7 Uhr schlafen geht, kann er sich nochmal für etwa drei Stunden hinlegen bevor es dann zur Team-Sitzung und anschließend zum Hessenliga-Spiel mit seinen Hadamarern geht. Nicht selten mit Teigresten am Arm und unter den Fingernägeln. Beim Spiel selbst läuft er dann durchschnittlich um die 10km – ähnlich wie ein Profikicker – bevor es am Samstagabend erneut zurück in die Backstube geht. Das Wochenende ist schließlich der umsatzstärkste Teil der Bäckerwoche. Ein irres Pensum!

Bei den Schlafzeiten dreht sich einem der Magen um, mögliche Verspätungen sind da doch eigentlich vorprogrammiert. Nicht so bei Jonas Herdering, er tickt anders. Wie ein Uhrwerk. In seiner Zeit in Hadamar hat er noch nie verschlafen und kam noch nie zu spät zu einem Training. Und das bei seinem Lebens-Rhythmus. Hut ab und bitte weitersagen! Trainiert wird in Hadamar während der Saison übrigens dreimal in der Woche. Ein ungeschriebenes Gesetz in der Fürstenstadt. Ebenfalls ein ungeschriebenes Gesetz ist es, dass Jonas Herdering zur Freude seiner Mitspieler vor den Heim- und Auswärtsspielen regelmäßig Kuchen aus der Backstube mitbringt, der bei der gemeinsamen Team-Besprechung vor den Spielen verköstigt wird. Solche Mitspieler braucht jeder Verein.

„Die Zeit, die habe, muss ich brutal effektiv nutzen“

Herdering ist ein ehrlicher und fleißiger Fußballer, der sich entgegen vieler anderer Sportkameraden in diesem Bereich immer realistisch einschätzen konnte und deshalb auch nie den ganz großen Schritt ins Profibusiness gegangen ist. Zwar spielte er in der Jugend fünf Jahre für den SV Wehen/Wiesbaden und auch ein Jahr in der B-Jugend für den FSV Mainz 05, aber eine Verletzung und sein Realitätssinn brachten ihn zurück in die Heimatregion, wo er mit 17 Jahren in der Gruppenliga für den RSV Weyer deputierte. Mit 19 zog er weiter nach Dorndorf, um mit 22 Jahren schließlich in der Fürstenstadt zu landen. Angebote hat es immer wieder gegeben, verrät er uns, aber „Hadamar und ich - das passt einfach in allen Bereichen gut zusammen“.

In seiner Zeit bei den Rot-Weißen hat der heutige Kapitän übrigens noch nie eine rote Karte gesehen – das ist bemerkenswert und verrät viel über seinen Charakter und die Art und Weise seines Spiels. Dass Jonas aufgrund seines anstrengenden Berufes mehr für sich und seinen Körper machen muss als andere, ist vielen nicht bewusst. Die Arbeit in der Backstube – wo er nicht selten 10 Stunden in der Nacht auf den Beinen ist – und der intensive Sport verlangen ihm viel ab, deswegen geht Jonas Herdering vor den Trainingseinheiten regelmäßig noch ins Fitnessstudio. „Krafttraining ist gerade für meinen Rücken sehr wichtig“. Auch Ernährung ist für den Bäckermeister ein zentrales Thema, allerdings nicht im übertriebenen Sinne – auf seinen geliebten Mohnkuchen kann er nur schwer verzichten.

Der immense Aufwand im Job und im Sport lässt wenig Zeit für Freizeit übrig – Freundin und Hund kommen oft zu kurz, die Freunde und alten Kumpels sowieso. Die meisten Freundschaften pflegt er ohnehin mit Teamkameraden, denn trotz der hohen Fluktuation im Hessenliga-Team, ist der Kern der Truppe stets zusammengeblieben. „Die Zeit, die habe, muss ich brutal effektiv nutzen“, sagt er und verblüfft mit der Aussage, dass er erst einmal in seinem Leben auf einem Musik-Konzert war. Noch mehr überrascht, dass der Bayern-Sympathisant erst drei oder viermal ein Fußball-Spiel im Stadion besucht hat. In München bei „seinen“ Bayern war er dabei noch nie. Dafür ist er sonntags, an seinem einzigen freien Tag in der Woche, gerne mal auf den Sportplätzen der Region unterwegs und schaut ehemaligen Mannschaftskameraden zu. Das lässt sich der sympathische und erfolgreiche Fußball-Bäcker nicht nehmen.