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Im Olymp der Lilien

Interview mit Willi Wagner

Willi Wagner. Foto: Claus Coester

Willi Wagner geb. 05.08.1951 401 Spiele für Darmstadt 98 32 Tore, 1971 – 1983 (12 Jahre), verheiratet, 3 Kinder, nach der Karriere als Fußballer Gymnasiallehrer in Bad Homburg, Dillenburg und Wetzlar.

flw24: Hallo Willi, wie geht es Dir?

Willi Wagner: Danke, gut. Ich bin gesund und kann mich viel bewegen. Ich laufe noch regelmäßig und nehme an Volksläufen teil. Beim Frankfurter Stadtmarathon und in Köln bin ich auch schon gewesen.

flw24: Das hört sich gut an. Kommen wir gleich zur Sache. Wie nahm das mit dem Fußball bei Dir seinen Anfang?

Willi Wagner: Begonnen habe ich als Kind beim TUS Naunheim, meinem Heimatverein. Hier bin ich auch geboren und aufgewachsen.

"Ich machte ein Probetraining bei den Profis von Eintracht Frankfurt"

flw24: Von Naunheim, man kann ja sagen aus der mittelhessischen Provinz, ging es dann irgendwann direkt in das vergleichsweise fußballerisch attraktive Darmstadt. Wie kam das?

Willi Wagner: Die komplette Jugendzeit verbrachte ich hier. Ich kam dann in die verschiedenen Auswahlmannschaften (Kreisauswahl, Hessenauswahl). Unsere Senioren spielten damals im oberen Amateurbereich. Ich trainierte mit den Senioren und durfte dann als gerade 18jähriger auch ein paar Spiele in der Hessenliga mitmachen.

flw24: Und wie erfolgte der Sprung nach Südhessen?

Willi Wagner: Ich machte ein Probetraining bei den Profis von Eintracht Frankfurt. Erich Ribbeck war der Trainer. Da waren dann die etablierten Spieler wie Bernd Nickel und Bernd Hölzenbein. Ich merkte als ganz junger Kerl, das schaffst du nicht. Das ist eine Nummer zu groß für dich. Doch Udo Klug, der Co-Trainer und Verantwortliche der zweiten Mannschaft wechselte damals gerade nach Darmstadt und nahm dorthin die jungen Talente der Eintracht wie Walter Bechtold und Hansi Lindemann u.a. mit. Und sozusagen vom Land holte Klug aus Lorsch in Südhessen Bernhard Metz und mich aus Naunheim von unterklassigen Vereinen dazu. Er sollte in Darmstadt ein neues Team aufbauen.

flw24: Und die Integration klappte anstandslos?

Willi Wagner: Ich hatte Glück und wurde sofort Stammspieler. Ich war Linksfuß. Die werden ja bekanntlich gesucht. Wir wurden in der Presse als die „Feierabendprofis“ betitelt. Einige studierten. Ich z.B. Sport, POWI, Chemie und später kam dann Mathematik dazu.

"1978 waren wir dann als Meister der 2. Bundesliga Süd Direktaufsteiger"

flw24: Wie war die zeitliche Belastung?

Willi Wagner: Viermal Training in der Woche. In der Saisonvorbereitung meistens ein Trainingslager.

flw24: Deine Fußballvita weist drei besondere Highlights auf, nämlich drei Anläufe in die Bundesliga, davon zweimal erfolgreich ins Oberhaus. Wie war das?

Willi Wagner: Der erste Anlauf war nicht erfolgreich. In der Saison 1973/74 belegten wir in der Aufstiegsrunde hinter Rot-Weiß Essen den zweiten Platz. 1978 waren wir dann als Meister der 2. Bundesliga Süd Direktaufsteiger. Und noch einmal ist uns das 1981 gelungen. Leider war es nur jeweils ein Jahr in der Bundesliga.

flw24: Immerhin. Ich darf noch einmal auf die Anfänge in Darmstadt zurückkommen. Wie war das denn mit dem ersten Spiel für die Lilien überhaupt?

Willi Wagner: Das vergisst man ja nicht. Den allerersten Einsatz bei den 98ern hatte ich im Sommer 1971 in einem Freundschaftsspiel gegen die japanische Nationalmannschaft. Wir hatten zwei Wochen Vorbereitung, die für mich eine einzige Katastrophe waren.

flw24: Wieso denn das?

Willi Wagner: Ich war nach meinem Eindruck zu diesem Zeitpunkt überhaupt nicht gut drauf. Ich hatte gerade Abitur gemacht. Es wurde viel gefeiert. Und Udo Klug stellte mich wider mein Erwarten gegen die Japaner in die Startelf. Die Hymnen wurden gespielt. Das Spektakel fand vor 5000 Zuschauern in Erbach im Odenwald anlässlich der „Erbacher Wiesen“ statt.

flw24: Und wie lief es?

Willi Wagner: Ich spürte: Das ist für deine Fußballer-Laufbahn der entscheidende Moment. Irgendwie dachte ich, das ist dein Schicksalsspiel. Ich war als junger Spieler offensiv aufgestellt, schoss ein Tor und bereitete zwei vor. Das war schon ganz früh mein Durchbruch.

flw24: Am Böllenfalltor wurden es dann fast 12 Jahre. Da hat man mit einigen Trainern zu tun.

Willi Wagner: Bei mir waren das, wie schon gesagt, Udo Klug, Lothar Buchmann, Klaus Schlappner, der uns im ersten Bundesligajahr 1979 retten sollte, Werner Olk, mit dem wir ein zweites Mal aufgestiegen sind, und schließlich Manfred Krafft.

flw24: Wer hat den nachhaltigsten Eindruck hinterlassen?

Willi Wagner: Ich persönlich meine, sportlich war Buchmann der Beste, menschlich Klug. Er war so etwas wie eine Vaterfigur.

flw24: Wenn man über zehn Jahre bei einem Klub spielt, dort zum Führungsspieler und Kapitän wird, gibt es da keine Abnutzungserscheinungen und gab es nie den Gedanken an einen Wechsel?

Willi Wagner: Im Laufe der Jahre bekommst du natürlich eine große Reputation. Dann bist du mit dem Verein natürlich sehr verbunden. Da ist dann doch so etwas wie Loyalität oder sogar Treue zu dem Verein dabei. Mein Autokennzeichen war damals DA - SV – 98. Das sagt ja alles. Ich hatte mal einen unterschriftsreifen Vertrag von Arminia Bielefeld vorliegen. Aber ich bin nicht gewechselt.

Mitglied der Darmstädter Jahrhundertelf

flw24: Du bist ja mit mehr als 400 Spielen der absolute Rekordspieler der Lilien.

Willi Wagner: Das freut mich schon. Und wenn anlässlich des Aufstiegs von Darmstadt 98 vor zwei Jahren die Fans mich in die Jahrhundertelf gewählt haben, beeindruckt mich das schon tief und ich empfinde es als Ehre.

flw24: Willi, nun fällt ja bekanntlich da, wo viel Licht ist, auch mal Schatten. War das auch in Darmstadt so? Gab es auch Enttäuschungen?

Willi Wagner: Die gehören ja zum Leben. Bei so vielen Spielen gibt es natürlich auch Enttäuschungen. Ich erinnere mich an unser Bundesligaspiel nach dem zweiten Aufstieg gegen Eintracht Frankfurt. Unser Trainer Werner Olk hatte von Köln Roland Gerber verpflichtet, für meine Begriffe ein Fehleinkauf. Gerber spielte in seinem ersten Spiel Libero und ich wich aus auf – heute würde man sagen - die 6. Ronny Borchers war mein Gegenspieler. Als Kapitän hatte ich mich im Vorfeld dagegen ausgesprochen. Aber Olk stellte so auf, obwohl Gerber erst unter der Woche gekommen war. Das Ganze ging dann auch mit 1:4 gründlich in die Hose. 

flw24: Welche Konsequenzen gab es?

Willi Wagner: Nun ja, ich hatte mich auf Nachfrage entsprechend in der Presse geäußert. Ich wurde schließlich wegen der Kritik am Trainer beurlaubt, trainierte bei Arheiligen Darmstadt und musste 3000 DM Geldstrafe bezahlen. Die interne Sperre wurde dann allerdings bald aufgehoben und ich spielte auch wieder.

flw24: Ja, die Tiefen des Lebens. Gab es mit den 98ern diesbezüglich noch etwas? Der zweite Aufstieg sollte ja dann auch scheitern. Woran lag es im Wesentlichen?

Willi Wagner: Nach meiner Auffassung an der falschen Einkaufspolitik. Der Schuss ging dann nach hinten los.

"Einen besonderen Stellenwert hat unser Heimspiel am Böllenfalltor gegen den 1. FC Nürnberg"

flw24: Zweimal Aufstieg ins Fußballoberhaus sind ja schon schöne Erfolge. Gibt es neben Deinem Debüt bei 98 gegen Japan ein weiteres besonderes Spiel?

Willi Wagner: Aus dem Stegreif ist das nicht so einfach. Da muss ich mich besinnen. Einen besonderen Stellenwert hat unser Heimspiel am Böllenfalltor vor 25.000 Zuschauern 1972 gegen 1. FC Nürnberg. 7:0 gewonnen. Wann hat Nürnberg in seiner Geschichte schon einmal 7:0 verloren? Wir wurden in dem Jahr Südmeister und nahmen an der Aufstiegsrunde teil, aber Essen machten vor uns den ersten Platz.

flw24: Ich möchte noch einmal auf den zweiten Abstieg 1982 zurückkommen. In der zweiten Bundesliga kam es dann ja in der Winterpause zu deinem Abschied aus Darmstadt. Was war passiert?

Willi Wagner: Die Verantwortlichen wollten sofort wieder in die Bundesliga und der Trainer Krafft auf Vollprofi umstellen. Offensichtlich passten Leute wie Cestonaro, unser Torjäger, und ich da nicht mehr in sein Konzept. Darmstadt kaufte den tschechoslowakischen Nationalspieler Nehoda. Ich löste meinen Vertrag auf. Cestonaro ging in die zweite Bundesliga zu Hessen Kassel. Kassel machte mir zwar auch ein Angebot. Aber ich orientierte mich jetzt Richtung Heimat.

flw24: Das heißt?

Willi Wagner: Ich hatte in Naunheim bereits gebaut und wollte dann in meinen Beruf als Lehrer einsteigen.

flw24: Mit dem Fußball war aber noch lange nicht Schluss. Kannst Du kurz skizzieren?

Willi Wagner: Zunächst war ich drei Jahre Spielertrainer beim VFB Gießen, danach acht Jahre Trainer dort. Dann folgen viele Trainerstationen abwechselnd in Wetzlar und Waldgirmes, jeweils verbunden mit Aufstiegen in die Hessenliga. Schließlich war ich auch noch bei meinem Stammverein Naunheim als Trainer.

flw24: Gibt es noch Kontakt mit früheren Darmstädter Spielern?

Willi Wagner: Kontakt besteht u.a. zu Peter Cestonaro, Oliver Posniak oder Willibald Weiss. Man trifft sich auch schon einmal bei Spielen.

flw24: Bedauerst Du irgendetwas in der Fußballerkarriere?

Willi Wagner: Eigentlich nein. Ich kann schon sehr zufrieden sein. Auch als Trainer mit den Erfolgen. Ich war und bin sicher manchmal kantig. Aber man muss ja auch Kritik üben dürfen und immer in den Spiegel schauen können. Und ich kann immer nach Darmstadt kommen.

flw24: Ja, Willi. Herzlichen Dank für den interessanten Einblick in dein Leben als Fußballer. Ich wünsche dir alles Gute und vor allem Gesundheit.

Das Gespräch führte Claus Coester am 25.04.2017 in Wetzlar im Lahn-Café.