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„Es hat überall geknistert, die Spannung war greifbar“

Interview mit Patrick Reifenscheidt, Team-Manager der deutschen U19 Fußball-Nationalmannschaft

Ankunft in Brasilien; Thomas Nörenberg, Horst Hrubesch, Patrick Reifenscheidt (v.l.); Bildquelle: Patrick Reifenscheidt, privat

Patrick Reifenscheidt (li) mit Matthias Ginter; Bildquelle: Patrick Reifenscheidt, privat

Nach dem Finale in Brasilien - Thomas Nörenberg, Patrick Reifenscheidt, Horst Hrubesch (v.l.); Bildquelle: Patrick Reifenscheidt, privat

Interview mit flw24 - Timm Henecker, Patrick Reifenscheidt, Dominik Groß (v.l.); Bildquelle: flw24

Der 40-jährige Nentershäuser ist ein Urgestein der Sportfreunde Eisbachtal und beruflich für den DFB tätig. In der Rückrunde der vergangenen Saison half er bei seinem Heimatverein Eisbachtal als Coach aus und schaffte als „Trainer auf Zeit“ den Klassenerhalt in der Rheinlandliga mit den Sportfreunden. Beruflich musste bzw. durfte er anschließend mit der deutschen U21-Nationalmannschaft, die er als Team-Manager betreute, zur Olympiade nach Rio de Janeiro reisen. Ein organisatorischer „Kraftakt“ und zugleich ein „unvergessliches Erlebnis“, wie er sagt. Grund genug für die flw24-Redaktion mehr über diesen Mann aus der Region zu erfahren.

flw24:  Hallo Patrick, lass uns mit deiner DFB-Tätigkeit beginnen. Was genau machst du beim Deutschen Fußball Bund?

Patrick Reifenscheidt: Hallo Timm, hallo Dominik, vielen Dank für die Einladung. Ich bin seit 15 Jahren beim DFB und arbeite dort im Büro U-Nationalmannschaften im Bereich Team-Management. In diesem Zeitraum habe ich alle U-Mannschaften von der U15 bis zur U21 begleitet und Spieler wie Thomas Müller, Jerome Boateng, Mario Götze oder Sami Khedira begleitet. Der bisherige Höhepunkt meiner DFB-Tätigkeit war neben dem EM-Titel mit U19 in 2008 sicherlich die diesjährige Olympiade in Brasilien mit dem Finaleinzug der U21 unter Trainer Horst Hrubesch.

Aktuell betreue ich als Team-Manager die U19-Nationalmannschaft. Unser aktueller Trainer, mit dem ich sehr eng zusammenarbeite, ist Frank Kramer, der ehemalige Coach von Greuther Fürth. Mit der U19 möchten wir uns im nächsten Sommer für die Europameisterschaft in Georgien qualifizieren. Das ist das große Ziel.

„Zur richtigen Zeit am richtigen Ort“

flw24:  Wie bist Du denn eigentlich zum DFB gekommen?

Patrick Reifenscheidt: Da hat der Zufall eine große Rolle gespielt. Während meiner Ausbildungszeit zum staatlich geprüften Sportlehrer musste ich ein fachspezifisches Praktikum nachweisen, welches ich beim DFB machen konnte – das war im Jahr 2001. Während dieser mehrwöchigen Praktikumszeit ist dann glücklicherweise beim DFB eine Stelle frei geworden und ich konnte sozusagen zuschlagen. Wie man so schön sagt: „Ich bin zur richtigen Zeit am richtigen Ort gewesen.“

Angefangen habe ich zunächst als Team-Manager der U15, wobei die Teams damals sehr viel kleiner waren als heute. Meine Aufgabe lag in der ganzen Organisation und Administration, beispielsweise von Lehrgängen. Als dann Matthias Sammer zum DFB kam wurden die „Teams hinter den Mannschaften“ immer größer und alles wurde professionalisiert. Jede U-Mannschaft hat heute sein eigenes Team, bestehend aus bis zu 20 Leuten (Trainerstab, Team-Manager, Physiotherapeuten, Ärzte, Lehrer, Fahrdienst, Zeugwart, Pressesprecher), die eine Mannschaft betreuen. Meine Hauptaufgabe ist es, dieses Team zu koordinieren. Der Trainer ist komplett für den sportlichen Bereich zuständig und ich für Organisation und Planung, also im Prinzip alles, was rund herum anfällt.

flw24: Konkret heißt das was?

Patrick Reifenscheidt: Das bedeutet, man muss mit  anderen Verbänden Termine für Spiele ausmachen und diese Spiele bzw. Länderspielreisen organisatorisch planen und letztendlich durchführen. Ich schaue mir die Austragungsstätten der Spiele vor Ort an, bilde das Vorkommando bei Auswärts-Länderspielen und übernehme die komplette Spieltags-Organisation bei Heimspielen. Im Vorfeld muss das Hotel und der Trainingsplatz abgestimmt werden, damit ein reibungsloser Ablauf gewährleistet werden kann. Das ist manchmal gar nicht so einfach, weil man mit den U-Mannschaften nicht in den großen Städten und Stadien mit bestehender Infrastruktur spielt, sondern oftmals in sehr kleinen Städten auf Amateurplätzen. Zuletzt war ich gerade in Albanien diesbezüglich unterwegs.

flw24: Wie ist den generell Deine U19 aufgestellt?

Patrick Reifenscheidt: Die Jungs trainieren schon nahezu alle bei den Profis in ihren Clubs. Wir haben da zum Beispiel den Felix Passlack von Borussia Dortmund, den Sali Özcan vom FC Köln oder den Aymen Barkok von Eintracht Frankfurt. Die sind schon alle feste Bestandteile in den Profiabteilungen ihrer Clubs.

„Jogi Löw hat die Qual der Wahl“

flw24: D.h. für die Zukunft müssen wir uns um den deutschen Fußball erstmal keine Gedanken machen, oder?

Patrick Reifenscheidt: Nein, da kommt jetzt einiges nach. Jogi Löw hat wirklich die Qual der Wahl, weil wir sehr viele gute Spieler in den U-Mannschaften und speziell in der U21 haben. Beim Confed Cup im nächsten Sommer in Russland werden sicherlich schon einige junge Spieler zum Einsatz kommen und auch ihre Chance nutzen. Das wird sicherlich interessant die nächsten Jahre.

flw24: Du hast es vorhin schon angesprochen, Dein persönliches Highlight beim DFB war Olympia in Rio.

Patrick Reifenscheidt: Ja, das war einzigartig und auch für Fußballer etwas ganz Spezielles. Allein die Vorbereitung war extrem schwierig, weil man alles mit dem olympischen Komitee, mit dem DOSB und der FIFA abstimmen musste. Die Fußballer sind da ja gewohnt unter Top-Bedingungen zu arbeiten, aber bei Olympia wurden wir dann in dieses Olympia-System reingedrängt, was organisatorisch schon ganz schön aufwendig und schwierig war.

flw24: Und die Vorbereitung mit den Spielern?

Patrick Reifenscheidt: Das war zeitlich alles ganz schön knapp. Wir haben uns ein paar Tage vor der Olympiade getroffen. Dabei hatten wir noch nicht mal mehr einen Einkleidungstag gehabt, so dass wir mit den DFB-Mitarbeitern die Taschen für die Spieler (Trainingssachen, Anzüge, Olympia-Kleidung, usw.) packen mussten. Donnerstags haben wir uns in Frankfurt getroffen, samstagsmorgens kamen dann noch die Spieler von Borussia Dortmund und abends sind wir nach Brasilien geflogen. Und am folgenden Donnerstag hatten wir dann bereits das erste Gruppenspiel.

flw24: Das scheint der Mannschaft aber nicht geschadet zu haben – ganz im Gegenteil?

Patrick Reifenscheidt: Zunächst konnte man natürlich schon sehen, dass die Mannschaft noch Zeit braucht und sich einspielen muss, aber dann hat man schnell gemerkt, dass da etwas zusammenwächst und dass die Spieler diese einmalige Chance einer Olympia-Teilnahme richtig verinnerlichen und einen tollen Spirit entwickeln.

 „Für die Brasilianer war es wie ein WM-Finale“

Und schließlich haben wir es tatsächlich zum Finale ins Maracana nach Rio geschafft. Dort war das berühmte Halbfinal-Spiel von der WM 2014 noch allgegenwärtig und für die Brasilianer war es die Chance, dieses 1:7-Desaster von damals auszumerzen. Das hat man überall gespürt. Es hat geknistert ohne Ende, es war eine riesige Anspannung im Stadion, es war für die Brasilianer wie ein WM-Finale. Es war die große Revanche.

flw24: Gänsehautmoment?

Patrick Reifenscheidt: Oh ja. Leider haben wir verloren. Die Spieler waren natürlich nach dem Elfmeter-Drama extrem traurig und enttäuscht, aber Horst Hrubesch hat dann alle Jungs im Mittelkreis zusammen getrommelt und ihnen vor Augen geführt, was sie geleistet haben und ihnen gesagt, dass sie sich als faire Verlierer zeigen sollen. Wir hatten ja schließlich die Silber-Medaille gewonnen. Er sagte ihnen, sie sollen jetzt eine Runde durchs Stadion laufen und klatschen. Die Spieler haben das dann gemacht und plötzlich haben die Zuschauer im Stadion, die uns während des Spiels extrem ausgepfiffen hatten, das registriert und uns mit Beifall verabschiedet. Das war ein ganz besonderer und emotionaler Moment, den ich so nicht vergessen werde.

fLw24: Horst Hrubesch hat sicherlich großen Anteil an dem Erfolg bei Olympia. Wie ist er so als Mensch?

Patrick Reifenscheidt: Horst Hrubesch ist ein grundehrlicher Typ, der dir direkt sagt, woran du bist. Er ist sehr bodenständig und ein harter Arbeiter. Genau diese Eigenschaften verlangt er auch von seinen Spielern. Als Person und Trainer hat er natürlich einen großen Anteil an dem Erfolg, weil er die Spieler ganz einfach erreicht hat und sie größten Respekt vor ihm und seiner Art haben. Ich denke, es gibt keinen Spieler (er hatte ja auch schon 6 oder 7 Weltmeister von 2014 trainiert), der schlecht über Horst Hrubesch reden würde.

„Olympia war ein unvergessliches Erlebnis“

fLw24: Wie ging es nach dem Finale weiter?

Patrick Reifenscheidt: Im Anschluss sind wir ins deutsche Haus gefahren und haben ausgiebig mit den anderen Sportlern gefeiert. Natürlich war die Niederlage im Finale noch nicht verdaut, aber die Anspannung war abgefallen und man wurde locker. Es war klasse, sich mit anderen Sportlern auszutauschen und gemeinsam mit ihnen im deutschen Olympia-Haus zu feiern.

Ich bin mir sicher, dass alle Spieler und auch Beteiligte, die dabei waren, dieses Erlebnis für immer in Erinnerung behalten werden. Und ich denke auch, wenn man jetzt einen Max Meyer oder Serge Gnabry fragen würde, sie dieses Endspiel im Maracana sicherlich als das größte Spiel ihrer Karriere ansehen.

flw24: Was gibst du jungen Spielern mit auf den Weg?

Patrick Reifenscheidt: Also junge Spieler sollten in aller ersten Linie Spaß an dem haben, was Sie machen – sprich Spaß am Fußball haben. Das ist das allerwichtigste. Diejenigen, die dann ein wenig mehr Talent mitbringen, dürfen nicht vergessen, weiterhin hart an sich zu arbeiten, denn nur mit Talent kommt man nicht nach ganz oben. Das bedarf viel harter Arbeit. Alle – egal wie sie heißen – ein Neymar, ein Ronaldo oder wer auch immer, sind alles sehr disziplinierte Menschen und Arbeiter, die längst nicht so gut wären, wenn sie nicht auf bestimmte Sachen verzichten würden. Geschenkt bekommt man nichts, es ist wichtig im richtigen Moment bei der Sache zu sein und sich auf das Wesentliche zu fokussieren. Das berühmte Quäntchen Glück gehört natürlich auch dazu.

„Tony da Silva war der begnadetste Fußballer, den ich kenne“

Ein gutes Beispiel ist mein alter Kollege Tony da Silva. Der war sicherlich der begnadetste Fußballer, den ich je gesehen habe. Er war extrem talentiert, hatte seinen Kopf aber früher oft woanders. Dennoch hat er natürlich viel erreicht und wurde mit Dortmund und Stuttgart Deutscher Meister, aber er hätte – da bin ich mir sicher - noch viel früher den Sprung in den Profifußball schaffen und noch mehr erreichen können.

Darüber hinaus ist es natürlich wichtig, die Schule abzuschließen und zu wissen, dass es noch mehr gibt als Fußball, denn nicht allen gelingt der Sprung ins Profigeschäft.

flw24: Kommen wir zu Deinem Bezug bzw. Deinem Engagement im regionalen Fußball. Wo hast Du Deine Fußballkarriere verbracht?

Patrick Reifenscheidt: Meine fußballerische Laufbahn habe ich zum größten Teil bei den Sportfreunden Eisbachtal, meinem Heimatverein, verbracht. Zunächst habe ich dort in der Jugend gespielt und bin dann irgendwann in die Senioren der Sportfreunde gekommen. Mit Eisbachtal habe ich zwei Jahre in der Oberliga Südwest gespielt, damals haben wir unter anderem gegen Kaiserslautern Amateure mit Miro Klose gespielt. Damals hatte der Amateur-Fußball noch einen anderen Stellenwert als heute.

Ich bin dann auch mal für einen kurzen Abstecher – was man eigentlich gar nicht verraten darf – zu Glas-Chemie Wirges gewechselt, musste dann aber dort nach kurzer Zeit wieder aufhören, weil ich in Trier meine Sportlehre/Sportstudium begonnen hatte. Zudem habe ich auch noch für Hundsangen in der Landesliga und der Verbandsliga gespielt und bin schließlich wieder zurück nach Eisbachtal, wo ich aber irgendwann meine fußballerische Laufbahn aufgrund meiner beruflichen Tätigkeit beenden musste.

flw24: Aber Eisbachtal trägst Du weiter im Herzen, oder? Zuletzt hatte Dich der Verein sogar nochmal als Trainer rekrutiert.

Patrick Reifenscheidt: Ja, definitiv! Ich hatte nach meiner Spielerkarriere für zwei Jahre als Trainer und mehrere Jahre als Co-Trainer in Eisbachtal gearbeitet und wurde letztes Jahr im Winter gefragt, ob ich nochmal als Trainer aushelfen könnte. Das habe ich dann zeitlich auf die Rückrunde befristet gemacht, und zum Glück mit dem Team den Klassenerhalt geschafft. Mittlerweile sitzt mein Bruder als Cheftrainer auf der Bank der Eisbären. Der Mannschaft und meinem Bruder möchte ich an dieser Stelle für die tolle Hinrunde (4.Tabellenplatz) in dieser Saison gratulieren. Ich bin also nach wie vor mit dem Verein extrem eng verbunden und auch sehr nah dran, habe aber derzeit keine feste Funktion inne. Besonders spannend ist die Jugendarbeit bei Eisbachtal. Wir haben einen Jungendförderverein ins Leben gerufen und spielen mit unseren Jugenden (U19, U17 und U15) in der Regionalliga – der höchsten Spielklasse in der Jugend. Gerne können interessierte Unternehmen aus der Umgebung unseren Jugendförderverein unterstützen. Der Vorteil von Eisbachtal ist ganz klar der familiäre Charakter. Viele Leute stecken ihr gesamtes Herzblut in diesen Traditionsverein. Das ist toll und wird hoffentlich so bleiben.

flw24: Das hoffen wir auch Patrick. Wir wünschen Dir persönlich, beruflich und natürlich auch Deinem Herzensverein alles Gute für die Zukunft und bedanken uns für spannende Einblicke hinter die Kulissen des deutschen Fußballs.

Patrick Reifenscheidt: Vielen Dank, das wünsche ich Euch auch. Übrigens Georg Behlau, der das „Büro Nationalmannschaft“ leitet und den ihr ja auch schon interviewt habt, sitzt ja beim DFB sozusagen in meiner Nachbarschaft. Wenn wir uns auf dem Gang treffen, dann reden wir des Öfteren über die Geschehnisse im Limburger und Westerwälder Fußball. Die Informationen beziehen wir dabei natürlich auch über Eure tolle Plattform flw24.

flw24: Danke für die Blumen, Patrick. Das freut uns zu hören.

Das Interview führte Timm Henecker.