14 Jahre Eintracht Frankfurt: der Ex-Vorstandsvorsitzende Heribert Bruchhagen über seine Kritiker, die Demission von Thomas Schaaf, die neue Rolle von Fredi Bobic und realitätsferne Träume.
Der erste Fußballclub am Main stand 2003 kurz vor dem Abgrund. Sportlich stiegen die Adlerträger am Saisonende zum dritten Mal nach 1996 und 2001 aus der deutschen Eliteklasse ab. Im damaligen Kader waren Spieler wie Ingo Hertzsch, Mehmet Dragusha oder Nico Frommer, an die sich nicht alle Fußballfreunde erinnern werden. Und das altehrwürdige Waldstadion, das zur WM-Arena umgebaut wurde, glich wie der gesamte Verein einer einzigen Baustelle. Dann übernahm Heribert Bruchhagen das Ruder. Mehr als 13 Jahre lang, vom 1. Dezember 2003 bis zum 31. Mai 2016, war der Fußballexperte mit dem großen Netzwerk und dem hervorragenden Ruf Vorstandsvorsitzender der Eintracht Frankfurt Fußball AG - und damit maßgeblich verantwortlich für den sportlichen Kurs des Bundesligavereins. Für Frankfurter Verhältnisse eine halbe Ewigkeit. Der finanziellen Konsolidierung folgte die sportliche Etablierung in Liga 1 mit Trainer Friedhelm Funkel und Spielern wie dem jungen Hamburger Bub Alex Meier. Was aber noch viel wichtiger und von Mehrwert bis heute ist: Bruchhagen, von 2007 bis Ende Juni 2015 auch Mitglied im DFL-Vorstand, stellte den Verein neu auf und gab die Richtung vor – oftmals gegen die Kritik aus dem Umfeld, er sei ein konservativer, nüchterner Realist, der das Risiko scheue. Es kehrten allerdings Seriosität, Kontinuität und Fachwissen am Riederwald ein, Güter, die in den “glorreichen“ und „erfolgreichen“ 1990er Jahren eher Mangelware waren. Das hätte dem Verein wegen finanzieller Altlasten fast das Genick gebrochen. Im Interview mit flw24.de möchte der studierte Sport- und Geografielehrer, der in den 1970er und 1980er Jahren parallel zu seiner Karriere als Fußballspieler und -trainer beim FC Gütersloh in der 2. Liga an einem Gymnasium in Halle/Westfalen unterrichtete, aber nicht nur über die Vergangenheit sprechen. Vielmehr verrät er uns, was er über seine Kritiker denkt, welche Rolle Fredi Bobic spielen soll und warum Titelträume in Frankfurt Träume bleiben werden.
flw24: Herr Bruchhagen, nach Ihrem Ausscheiden bei der Eintracht sind Sie der Fußball-Bundesliga erhalten geblieben.
Heribert Bruchhagen: Das ist richtig. Ich bin Sky-Experte für die Samstagabend-Spiele. Außerdem arbeite ich für das Kölner Unternehmen One Hundred Speaker Excellence und halte Vorträge zu Themen aus Wirtschaft und Gesellschaft.
flw24: Hätten Sie sich nicht einen anderen Abschied gewünscht als so eine Katastrophensaison.
Heribert Bruchhagen: Es war keine Katastrophensaison. Es ist genau das passiert, wovor ich immer wieder gewarnt habe. Grundsätzlich spielen acht bis zehn Vereine in der ersten Liga gegen den Abstieg. Neben Stuttgart, Hamburg oder dem SC Freiburg ist die Eintracht auch dabei. Wenn dann noch unvorhersehbare und unvermeidliche Dinge wie die lange Verletzung von Alex Meier, die Formschwäche der Stürmer oder der Druck auf den Trainer hinzukommen, passiert genau das: Abstiegskampf.
flw24: Das heißt, die letzte Saison war ein erneuter Beweis für Ihre These von der Zementierung einer Dreiklassengesellschaft in der Fußball-Bundesliga.
„Kritik zu üben ist immer leicht, wenn man keine Verantwortung trägt“
Heribert Bruchhagen: Exakt. Meine These mag nicht spannend sein und auch nicht jedem Experten gefallen. Mir wurde ja oft vorgeworfen, ich prophezeie diese Dinge, um meinen kontrollierten sportlichen Kurs was die Kader-Zusammenstellung und Ausgaben betrifft zu rechtfertigen. Und es gab auch harsche Reaktionen im Umfeld darauf. Aber es ist immer leicht, seinem Unmut im Sportteil einer Zeitung, im Netz auf irgendwelchen Social Media-Plattformen oder am Fußball-Stammtisch Luft zu machen. Insbesondere, wenn man weder in der Verantwortung noch in Haftung für seine Entscheidungen in Millionen-Tragweite für den Verein steht.
Außerdem ist doch hoffentlich selbst meinen größten Kritikern klar: Natürlich wünsche ich mir, dass Eintracht Frankfurt jedes Jahr im Europapokal spielt. Und natürlich wünsche ich mir internationale Topspieler in der Arena! Aber durch die Verteilung der TV-Gelder, gegen die ich stets öffentlich protestiert habe, ist es so gekommen, wie ich schon Anfang des Jahrzehnts befürchtet habe: Uneinholbar vorneweg marschiert der FC Bayern, und auch in den kommenden drei Spielzeiten wird der Deutsche Meister von der Isar kommen. Dann kommen Traditionsvereine wie der BVB und Schalke 04 mit ganz anderen finanziellen Möglichkeiten, als wir sie in Frankfurt haben. Und die Werkclubs aus Leverkusen, Wolfsburg und nun auch Leipzig. Die machen im Grunde die Plätze oben unter sich aus. Und dann kommt der Rest der Liga, und hier ist alles möglich, inklusive schöner und schlimmer Überraschungen für die Beteiligten. Sowohl kann sich der SC Freiburg für Europa qualifizieren als auch der VfB Stuttgart absteigen. Und schauen Sie sich die Eintracht an: Zwei Europapokalteilnahmen stehen zwei Abstiege zwischen 2004 und 2011 entgegen. Man muss mit allem rechnen – aber die Champions League oder gar die Meisterschaft sind realitätsferne Träume.
„Das Ziel kann nur Etablierung in der 1. Liga heißen – und nicht träumen“
flw24: Was kann denn unter diesen Bedingungen das Ziel bei Eintracht Frankfurt sein?
Heribert Bruchhagen: Ein fester Bestandteil der Bundesliga zu sein – und zwar unter Berücksichtigung, und das betone ich gerne immer wieder, unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Möglichkeiten, die wir in Frankfurt haben, und des Gebotes der Vernunft. Wir haben Geld, aber das ist angesichts der hohen Stadionmiete an die Stadt, der angesprochenen Verteilung der Fernsehgelder und dem Umstand, dass die Zuschauereinnahmen nur 23% unseres Gesamtetats ausmachen und wir überdies viele Stehplätze für die Fans zu niedrigen Preisen anbieten, knapp! Das muss man als kritischer Fan alles berücksichtigen. Ich habe jedenfalls mit meinen Kollegen wie Dr. Thomas Pröckl alle meine Entscheidungen nach Maßgabe dieser beiden Kriterien getroffen: was ist möglich, was ist vernünftig? Und das wird auch mein Nachfolger tun.
flw24: War es auch ein Gebot der Vernunft, Armin Veh 2015 als Trainer zurückzuholen? Er kenne den Verein und das Umfeld, sei erfolgreich und beliebt gewesen und könne Sie nach seiner Trainerzeit als sportlich Verantwortlicher im Vorstand beerben. Das war ein Plan, der wohl zu einfach war, um nicht zu scheitern! Thomas Schaaf hat es den Job, die Eintracht ein gutes Stück Reputation und alle Beteiligten im Nachhinein etwas an Glaubwürdigkeit gekostet.
Heribert Bruchhagen: Von der Idee, Armin Veh zurückholen, waren alle im AG-Vorstand und im Verein überzeugt! Alle wollten ihn zurück.
flw24: Was ging dann schief?
„Armin Veh ist es leider nicht mehr gelungen, ein Team zu bilden“
Heribert Bruchhagen: Armin Veh ist es leider nicht mehr gelungen, ein Team zu bilden. Das war das Erfolgsgeheimnis seiner Zeit zwischen 2011 und 2014 hier gewesen. Zudem hat er die offensive Taktik seines Vorgängers zu einer kontrollierteren Spielweise geändert. Beispielhaft dafür steht das ermauerte 0-0 gegen die Bayern im Oktober 2015. Dann kamen die Verletzung von Alex Meier, die Formkrise von Stefan Aigner und die zu großen Erwartungen aus dem Umfeld hinzu. Am Ende waren viele enttäuscht und haben Armin Arroganz und den Umstand, dass er gerne am Frankfurter Leben teilgenommen hat, vorgeworfen. Und dass er nicht richtig habe trainieren lassen. Absurd war das! Aber wir alle haben kollektiv versagt und es hatte sich Ratlosigkeit breit gemacht. Und dann kam Armin Veh im März auf uns zu und hat angeboten, seinen Posten zur Verfügung zu stellen – im Sinne der Eintracht. Das haben wir dann angenommen, um noch rechtzeitig reagieren zu können. Das war menschlich ein großer Zug von Armin und spricht für sein Verantwortungsbewusstsein.
flw24: Man kann aber trotzdem sagen: Armin Vehs Aussagen beim Weggang aus Frankfurt nach Stuttgart, seine Demissionen in Wolfsburg und Hamburg zuvor und in Stuttgart und dann auch noch hier sowie sein manchmal sehr oberlehrerhaftes und arrogantes Auftreten haben seinen Ruf als „Erfolgstrainer“ eher beschädigt?
Heribert Bruchhagen: Das ist Ihre Einschätzung, die ich nicht teile. Armin Veh ist mir und der Eintracht ein Freund geworden und geblieben – und ein sehr guter Trainer.