Interview mit Ex-Eintrachtler und SC Hessen Dreieich-Trainer Rudi Bommer
Wenn es in den 1990er Jahren „Ruuuuudi“ durch das Frankfurter Waldstadion raunte, war nicht Rudi „Nationale“ Völler gemeint. Die Fangesänge galten dem 6er der Eintracht mit der Rücken-Nr. 8, der zwischen 1992 und 1995 das Mittelfeldspiel ordnete und von 1995 bis 1997 als Co-Trainer verantwortlich war: Rudi Bommer. Der gebürtige Aschaffenburger spielte von 1976 bis 1996 in 417 Bundesliga-Spielen für Fortuna Düsseldorf, Bayer Uerdingen und Eintracht Frankfurt und zwischen 1975 und 1988 insgesamt 36mal im Nationaltrikot der U18, der Olympiaauswahl und der A-Mannschaft. Er stand dreimal (1978-1980) im DFB-Pokalfinale mit der Fortuna und gewann den Pott zweimal (1979 und 1980). 1988 holte er bei Olympia in Seoul an der Seite von Jürgen Klinsmann und Thomas Häßler Bronze. 1984 gehörte er zum EM-Kader in Frankreich und 1986 zu jener legendären Truppe von Bayer 05 Uerdingen, die beim „Wunder von der Grotenburg“ im Europapokal-Viertelfinal-Rückspiel Dynamo Dresden 7-3 besiegte. Als sein Highlight bezeichnet Rudi Bommer das verlorene Finale (3-4) mit der Fortuna im Europapokal der Pokalsieger 1979 in Basel gegen den ruhmreichen FC Barcelona. Als Trainer blickt der 59-Jährige auf zahlreiche Stationen in den drei oberen Spielklassen zwischen 1997 und 2013 zurück, zwei Aufstiege (mit Wacker Burghausen 2002 in die 2. und mit dem MSV Duisburg 2007 in die 1. Liga) zieren seine Vita. Im Interview mit flw24.de verrät uns Rudi Bommer, unter welch‘ ungewöhnlichen Umständen er zur Eintracht kam, warum das Projekt SC Hessen Dreieich erfolgreich sein wird und was ihm bei Eintracht Frankfurt alles fehlt.
flw24: Herr Bommer, nach Ihrer Entlassung im November 2013 in Cottbus war es nach fast 40 Jahren Profifußball ruhig um Sie geworden. Nach vielen Jahren als erfolgreicher Trainer waren Sie auf einmal weg von der Bildfläche. Nach einem kurzen Engagement in ihrer Heimat Aschaffenburg sind Sie seit 1. Juli 2016 Trainer und Manager des SC Hessen Dreieich. Schön, dass Sie zurück sind! Aber warum nicht mehr Bundesliga?
Rudi Bommer: Meine Demission in Cottbus war einer Tumorerkrankung geschuldet. Ich brauchte eine Auszeit, um mich zu erholen. Jetzt bin ich wieder gesund. Ich liebe den Fußball, und wir sind eine Fußballnation mit großer Vergangenheit und großer Zukunft, das haben die EM und Olympia einmal mehr gezeigt. Da will man ein Teil von sein. Aber ganz oben muss ich nicht mehr mitmischen.
flw24: Hat sich das Profi-Trainerbusiness zu stark verändert in den letzten Jahren, als dass Sie sich das nochmal antun?
„Meine Trainervorbilder sind Otto Rehhagel und Jupp Heynckes“
Rudi Bommer: Das Trainergeschäft verändert sich rasend schnell. Die Medien üben enormen Druck aus, die Zuschauer haben eine immense Erwartungshaltung, und der Erfolg von heute zählt schon morgen nicht mehr. Da werden keine Fehler verziehen, und junge Trainer, die hoch gehandelt werden, aber schnell fallen können, haben keine Zeit sich zu entwickeln. Ich nenne als prominentes Beispiel nur Mirko Slomka. Und ich bin sehr gespannt, wie sich ein Markus Weinzierl, der im beschaulichen Augsburg in aller Ruhe tolle Aufbauarbeit leisten konnte über Jahre, im Haifischbecken Schalke 04 entwickeln wird.
Man muss zudem heute auch Entertainer sein wie ein Jürgen Klopp oder ein Pep Guardiola dies perfektioniert haben. Ich bin da eher der ruhige Typ. Meine Vorbilder sind Otto Rehhagel, Jupp Heynckes oder Thomas Schaaf. Ruhige, sachliche, erfolgreiche Trainer und überragende Menschen! Die konnten über Jahrzehnte an ihrer Vision von Fußball arbeiten – und sieht man sich an, mit welch‘ großen Zeitabständen alle drei ihre Titel eingefahren haben, waren Zeit und Misserfolge offensichtlich die Erfolgsgaranten, die im heutigen Geschäft unmöglich scheinen. Ich möchte nun jungen Talenten in unteren Klassen meine Vision von Fußball mitgeben und Wege zur Profilaufbahn ebnen, das kann ich aufgrund meiner eigenen Vita. Dazu brauche ich etwas Zeit, und die habe ich hier in Dreieich.
flw24: Sie sind ein Kind der Bundesliga. Für Eintracht-Fans gehören Sie seit 1992 zur Familie. Ich, damals jugendlicher Fan, erinnere mich noch sehr gut, als „der alte Mann“ im zarten Alter von 34 Jahren bei der SGE aufschlug. Wie kam es damals zu diesem Engagement?
„Steppi hat meine Frau überredet, dass ich zur Eintracht komme“
Rudi Bommer (lacht): Eigentlich war ich mit dem Profifußball fertig und hatte schon runtertrainiert, wie die Profis sagen. Mein Ziel war es immer, Europokal und Nationalmannschaft zu spielen, und das war Anfang der 1990er Jahre endgültig vorbei. Also spielte ich nur noch als Standby-Amateur bei meiner Viktoria in Aschaffenburg in der damaligen 3. Spielklasse, der Oberliga Hessen, und wir spielten um den Aufstieg in die 2. Liga. Dann kam ein Hilferuf meiner damals abstiegsbedrohten Fortuna. Der damalige Trainer Horst Köppel wollte mich zu einem Comeback für die letzten Spiele im Abstiegskampf bewegen, um den Klassenerhalt in Liga 1 zu sichern. Also verabredeten wir uns für nach einem Spiel der Fortuna, ich weiß aber nicht mehr, wo das war. Aber auf der Tribüne saß auch Eintracht-Trainer Steppi (Anm. d. Red.: Dragoslav Stepanovic)!
flw24: Und dann?
Rudi Bommer: Na ja, wie man den Steppi so kennt, hatte der Lunte gerochen. Während ich nach dem Spiel ein eher enttäuschendes Gespräch mit Köppel hatte, und Düsseldorf auch total abgeschlagen auf dem letzten Platz war, machte Steppi meiner Frau auf seine unnachahmliche Weise klar, wie sehr er mich bei der Eintracht braucht, hinterließ seine Telefonnummer und hat fortan nicht mehr locker gelassen. Meine Frau hat dann „so großen Druck auf mich ausgeübt“, das nochmal zu machen, dass ich nach einigen Wochen Bedenkzeit (und nach der bitteren Niederlage der SGE in Rostock, die die Meisterschale gekostet hat) gesagt habe: „Okay, ich gehe es nochmal an“.
flw24: Das heißt, vom Standby-Amateur in die 1. Liga – und das mit 34 Jahren.
Rudi Bommer: Ja, und es war hart. Die ersten Wochen der Vorbereitung auf die Saison 1992/93 konnte ich kaum aufstehen morgens. Zuhause bin ich nur gekrochen. Aber auf dem Trainingsplatz habe ich mir vor den jungen Spielern wie Jay Jay Okocha, Tony Yeboah oder Mirko Dickhaut nichts anmerken lassen. Und ich war immer ein Läufer und schnell – im Gegensatz zum genialen Uwe Bein, mit dem ich dann zwei Jahre das Herzstück des Eintracht-Mittelfeldes bildete. Ich machte die Räume zu, Uwe spielte den Pass, und Tony vollstreckte. Das hat gepasst!
flw24: Die Frage muss kommen: Warum seid ihr mit dem Dream-Team 1993/94 um Trainerdompteur und Motivationskünstler Klaus Toppmöller kein Deutscher Meister geworden?
Rudi Bommer: Ganz einfach: Nach dem Traumstart mit 20: 2 Punkten (mit der Drei-Punkteregelung, die es damals noch nicht gab, hätten wir noch größeren Vorsprung vor dem Rest gehabt) kam alles zusammen, was den Erfolg gekostet hat: Tonys Verletzung am Ende der Hinrunde, Toppis Spruch „Bye bye Bayern“ und die internen Risse in der Mannschaft, die in zwei Gruppen gespalten war.
flw24: Das habe ich so schon mal gehört von Manfred Binz! Können Sie die letzten beiden Punkte erläutern?
„Wir hatten 1993/94 keine Siegertypen, wie der FC Bayern diese hat“
Rudi Bommer: Nach Toppis Spruch wurden wir als arrogant abgestempelt und in jedem Stadion von Zuschauern und Gegnern bekämpft und gejagt. Wie die Bayern seit eh und je. Nur: Wir hatten damals keine Mentalitätsmonster und Siegertypen, wie der FC Bayern diese schon immer hatte und hat. Viele jungen Spieler wie Ralf (Anm. d. Redaktion: Weber), Uwe Bindewald oder Matthias Hagner kamen mit dem Druck nicht klar. Und unser Kapitän Uli Stein tat sein Übriges: Er ist ein klasse Typ, war aber immer besessen vom Siegen und duldete keine Patzer. Das hat die jungen Spieler total verunsichert und ihn letztlich auch seinen Job in Frankfurt gekostet. Wir älteren Spieler konnten die Gruppenbildung zwischen Ulis Jungs und dem Rest nicht mehr im Sinne des Teams auflösen. Ich habe daraus sehr viel gelernt, und weiß solche Dynamiken heute zu verhindern.
flw24: Erzählen Sie uns etwas über das Projekt SC Hessen Dreieich. Für die einen ist es der Versuch, junge Spieler aus der Region auszubilden und eine Alternative zu den etablierten Vereinen aus Frankfurt, Wiesbaden, Mainz und Offenbach zu bieten. Für die anderen ist es ein profitorientiertes Geldunternehmen wie die TSG Hoffenheim oder RB Leipzig im kleineren Rahmen, das den kleineren Vereinen entweder unfaire Konkurrenz macht oder diese bei der Vereinsgründung 2013 gleich geschluckt hat. Mir kommt es angesichts der personellen Ausstattung eher vor wie ein anderes „Eintracht Frankfurt“.