Eintracht Frankfurt vor 20 Jahren: Ex-Präsident Rolf Heller blickt zurück.
“Der gute Mensch vom Riederwald” - so betitelte Ralf Weitbrecht (F.A.Z.) seine Grüße an Rolf Heller zu dessen 60. Geburtstag. „Lange“, so Weitbrecht, „war die Eintracht der große Fixpunkt im Leben des Rolf Heller. Für sie hat der harmoniesüchtige Frankfurter viel Herzblut gelassen.“ Und wer den stets gutgelaunten Mensch, der andere Menschen mit seiner Offenheit und seinem Lachen zu vereinnahmen versteht, bei „seiner“ Eintracht oder vorab im „Apfelwein Wagner“ erlebt, wird zustimmen: Der gebürtige Frankfurter ist jemand, der der Eintracht nicht nur in seiner Zeit als Präsident (1996-2000) sehr viel Gutes getan und noch mehr erlebt hat – und immer noch mitfiebert, wie es mit dem Traditionsverein, dessen Erfolge schon Jahrzehnte her sind und der schon zweimal fast vor der Insolvenz stand, weitergeht.
flw24-Redaktion: Lieber Herr Heller. Was, fragt sich der Fußballfan, machen Sie heute – neben Ihrer Tätigkeit als Vorsitzender des Kreissportgerichts?
Rolf Heller: Ich lebe wieder in Weimar. Als ehemaliger Leitender Verwaltungsdirektor der AOK habe ich nach meiner Pensionierung noch einige Ehrenämter im früheren Wirkungsbereich des Kassenarztrechts wie Schiedsämter usw. behalten. Im Fußballbereich bin ich in verschiedenen Verbandssportgerichten tätig, u.a. in Thüringen und dem Nordostdeutschen Fußballverband. Privat verwalte ich meinen Immobilienpool in Weimar, Jena und Gera. Als Gesellschafter betreibe ich zudem noch einen größeren Pflegedienst. Unter dem Strich bin ich also nach wie vor rund um die Uhr im Einsatz.
„Ich habe keinen Augenblick gezögert, Verantwortung zu übernehmen“
flw24-Redaktion: Als Sie am 11.11.1996 zum Präsidenten der Frankfurter Eintracht gewählt wurden, war die Mannschaft sportlich im freien Fall und der Verein ohne Führung. Spiele gegen Bayer 05 Uerdingen oder den FSV Zwickau in der 2. Liga zogen keine 10.000 Zuschauer raus ins alte Stadion, das auf dem baulichen Stand der Heim-EM 1988 war, und der letzte Nationalspieler Andreas Köpke hatte die SGE als frischer Europameister nach dem ersten Abstieg im Sommer 1996 Richtung Barcelona verlassen. Blicken Sie zurück auf diese graue, triste Eintracht-Zeit: Was hat Sie bewogen, dieses Amt zu übernehmen? Womit mussten Sie rechnen, was haben Sie befürchtet?
Rolf Heller: Zunächst muss man wissen, dass ich nicht ins kalte Wasser gesprungen bin. Ich war zuvor 15 Jahre Abteilungsleiter des Fußballnachwuchses und der Amateurmannschaft. Diese Zeit war geprägt durch 5 Deutsche Jugendmeisterschaften. Ich kannte also den Verein. Zudem war ich damals im Vorstand des Hessischen Fußballverbandes und im DFB-Sportgericht tätig. Ich war also kein Seiteneinsteiger im üblichen Sinne, sondern eigentlich die einzige personelle Alternative im Verein. Ich habe damals auch keinen Augenblick gezögert, das Amt und damit Verantwortung zu übernehmen, nachdem mein Vorgänger Hans-Joachim Otto (Anm. d. Red.: ehemaliger Höchst-Manager) nach nur 6 Wochen im Amt fest entschlossen war, Insolvenz anzumelden. Die Konsequenzen, die das für den Verein gehabt hätte, kann man sich heute überhaupt nicht mehr vorstellen.
Und: Befürchtet habe ich nichts. Ich war mir damals sicher, dass wir wieder aufsteigen werden. Den Zeitrahmen der Rückkehr in die 1. Bundesliga hatte ich mir mit 3 Jahren gesetzt. Dass dies dann bereits in der folgenden Saison 1997/98 geklappt hat, war umso schöner.
„Wir hatten 1997 noch einen Spieler unter Vertrag“
flw24-Redaktion: In Ihre Ära fallen der Neuaufbau einer Mannschaft ohne altgediente Spieler wie Maurizio Gaudino oder Rudi Bommer, der Wiederaufstieg mit einer Mischung aus Alt (Ralf Weber, Uwe Bindewald, Olaf Janßen, Alex Kutschera) und Jung (Oka Nikolov, Marco Gebhardt, Thomas Zampach “Fußballgott”) um den “kauzigen” Trainer Horst Ehrmantraut sowie der sagenhafte Klassenerhalt mit dem leider verstorbenen Jörg Berger 1999. Blicken Sie zurück: War diese Ära nicht aber auch der Anfang vom anschließenden Zickzackkurs mit drei weiteren Abstiegen (2001, 2004, 2011), die folgen sollten, weil die Eintracht in eben jener Zeit sehr viel Geld verloren hat und andere Teams wie der BVB oder Schalke 04 der Eintracht seit dieser Zeit finanziell und strategisch meilenweit voraus sind?
Rolf Heller: Es war sicher eine Radikalerneuerung im Sommer 1997, als wir vor einem weiteren Jahr Zweitligafußball in der Bankenstadt standen. Und eine Zeit, die durch das damalige Bosmann-Urteil und seine finanziellen Folgen an Dramatik zugenommen hatte. Wir mussten viele Spieler umsonst ziehen lassen und hatten am 30.06.1997 mit Patrick Glöckner nur noch einen Lizenz-Spieler unter Vertrag!
Wir haben uns aber in meiner Amtszeit kontinuierlich sowohl sportlich als auch wirtschaftlich verbessert. Am Tag meiner Amtsübernahme standen wir nach der Niederlage an einem verregneten Freitagabend gegen den VfB Oldenburg vor 3.500 Zuschauern auf einem Abstiegsplatz. Die Saison haben wir auf dem 6. Tabellenplatz abgeschlossen. Ein Jahr später sind wir dann im Mai 1998 als Meister der 2.Liga aufgestiegen. Im Jahr darauf haben wir – hauchdünn, wie jeder Eintracht-Fan weiß – die Klasse auf dem 15. Tabellenplatz gehalten: Weil Jan Aage Fjoertoft den Übersteiger gemacht hat.
flw24-Redaktion: Und dann kam Felix Magath – und nichts wurde besser.
Rolf Heller: Im nächsten Jahr war der 14. Tabellenplatz unter Magath das erreichte Ziel.
flw24-Redaktion: Ich hake nochmal nach: Dragoslav Stepanovic, Horst Ehrmantraut, Bernhard Lippert, Reinhold Fanz, Jörg Berger, Felix Magath , Friedel Rausch – man kam von 1996 bis 2001 mit dem Zählen der Trainer kaum hinterher. Die Eintracht war damals untrainierbar?
„Trainerwechsel waren eine Marotte von mir“
Rolf Heller: In der damaligen Zeit haben sich die zugegeben kurzfristigen Trainerwechsel wegen der ständigen problematischen Tabellensituation geradezu aufgedrängt. Aber: Die Eintracht war damals nicht untrainierbar. Im Gegenteil: Die jeweiligen Mannschaften waren ausnahmslos mit Spielern besetzt, die sich charakterlich einwandfrei den Vorgaben der Trainer untergeordnet haben. Heute würde man sagen, das waren alles dufte Kerle. Sportlich hat es nicht hingehauen. Die Trainerwechsel waren vielleicht eine Marotte von mir, wenn ich der Meinung war, das gesteckte Ziel nur mit eben einem Trainerwechsel noch erreichen zu können. Ich mache da heute einfach einen Haken dran und hinterfrage nicht mehr meine damaligen Entscheidungen.
„Ich wollte damals eine Spaltung des Vereins verhindern“
flw24-Redaktion: Als Sie Ihr Amt am 31. Januar 2000 im Frankfurter Palmengarten aufgegeben haben, haben Sie sich “am Ende einer Mission angekommen” gesehen und hatten „keine Kraft mehr, die Eintracht aus der Krise zu führen". Was meinten Sie damals damit? Sind Sie auch ein Stück weit aus der drückenden Verantwortung in einem bis heute sehr schweren Umfeld, wo Anspruch und Wirklichkeit nie zueinander passen, geflohen?
Rolf Heller: Nein! Aber ich hab damals nicht übersehen, dass die Mitglieder des Verwaltungsrates eine Neubesetzung des Präsidentenamtes favorisiert hatten. Parallel dazu gab es aus der Mitgliederversammlung den Antrag, die Mitglieder des Verwaltungsrates abzuwählen. Das konnte man als Unterstützung für mich einordnen. Es bestand also zum damaligen Zeitpunkt die Gefahr, den Verein bei meinem Festhalten am Amt zu spalten. Das konnte ich damals nicht verantworten. Hinzu kommt, dass ich zwar am Amt hing, mir jedoch nicht hundertprozentig sicher war, ob ich den Herausforderungen noch gewachsen bin. Im Nachhinein betrachtet war es wohl die richtige Entscheidung, zu gehen. Nicht nur für die Eintracht, sondern auch für mich. Ich bin aber mit einem Appell an die Mitglieder abgetreten, der offenbar Anklang gefunden hat: Sich den notwendigen strukturellen Veränderungen im Profifußball-Geschäft nicht zu verschließen und neue sportliche und wirtschaftliche Wege zu gehen – Tradition hin, Tradition her.
flw24-Redaktion: Kommen wir auf die finanziellen Auswirkungen der sportlichen Krisen zwischen 1996 und dem dritten Abstieg 2004 zu sprechen. Und auf die gescheiterte strategische und kostspielige Partnerschaft mit Octagon. Die Personen Steven Jedlicki und Tony Woodcock stehen bis heute für Geldverschwendung, Größenwahn und den Ausverkauf der Tradition an externe, profitorientierte Geldgeber. Damals ungewöhnlich, heute normal im Profigeschäft. Wie sehen Sie diese Entscheidung von damals heute?
Rolf Heller: Die Abstiege 2001 und 2004 und die wirtschaftlichen Wirrungen dieser Zeit möchte ich nicht bewerten, da es nicht mehr in meine Verantwortung fällt. Auch zum wohl glücklosen Octacon-Engagement möchte ich keine Bewertung abgeben. Bei der inhaltlichen Ausgestaltung war ich nicht mehr eingebunden. Und dazu fehlt mir auch der Einblick in die damalige Detail-Diskussion. Aber zum Anfang und Ende von Octagon sind ja Zeitungen gefüllt worden, das kann man da alles nachlesen. Zurückblickend würde ich aber sagen, dass die professionelle Ausrichtung der Eintracht damals geboten war – und damit auch ein starker finanzieller Partner aus der Wirtschaft unumgänglich. Dass es der falsche Partner war – passiert. Aber vergessen wir nicht die geglückte Gründung der AG. Bernd Ehinger, damals im Verwaltungsrat, hat damals an dieser Weichenstellung einen dankenswerten Beitrag geleistet. Meines Wissens hat er sich dabei auch privat finanziell eingebracht.