„Die Asche habe ich heute noch unter der Haut“

Bernd Rupp, der Torjäger aus der Gründerzeit der Bundesliga kann viel erzählen

Bernd Rupp (Foto: Claus Coester)

Interview Bernd Rupp (Wiesbaden 02.02.2016)  BR = Bernd Rupp  CC = Claus Coester flw24

CC: Herr Rupp, vielen Dank für die Gelegenheit, mit Ihnen in die Fußballgeschichte der 1960er und 1970er Jahre einzutauchen. Aber zuerst darf ich fragen: Wie geht es Ihnen?

BR: Mir geht es gut.

"Der Fußball ist natürlich schneller geworden und die Jungs verdienen viel mehr."

CC: Sie waren ein Jahrzehnt in der Gründerzeit der Bundesliga ein namhafter Fußballprofi. Den Namen Rupp kannte jeder nur halbwegs interessierte Fußballfan. Auf der einen Seite gibt es sicher Gemeinsamkeiten zwischen damals und heute, auf der anderen Seite liegen Welten dazwischen. Wie ist Ihre Sicht diesbezüglich?

BR: Der Fußball ist natürlich schneller geworden und die Jungs verdienen viel mehr. Durch die Medienpräsenz stehen die Spieler mehr im Mittelpunkt. Wir konnten schon mal ein Bier trinken, auch zum Essen. Fritz Langner, unser Trainer in Bremen, kam auch schon mal im Mannschaftshotel aufs Zimmer und schaute, ob jemand unterm Bett ein paar Flaschen gebunkert hatte (lacht).

CC: Ihre Biografie vor der Profizeit weist Phönix Kassel, FC Burgsolms und den SV Wiesbaden als Stationen aus. Wie kam es dazu?

BR: Das hängt mit meiner Ausbildung zusammen. Nach der Schulzeit machte ich bei der Post eine Ausbildung zum Fernmeldetechniker. Die fand für unseren Bereich in Kassel statt. Deshalb spielte ich dann bei Phönix Kassel während der dreieinhalbjährigen Lehrzeit in der B- und A-Jugend. Ich glaube, ich habe als noch nicht 18jähriger auch schon ein Spiel in der Seniorenmannschaft gemacht. Die spielte in der B-Klasse. Ich ging dann zurück nach Burgsolms, wo wir in meinem zweiten Seniorenjahr aus der Landesliga in die Hessenliga aufgestiegen sind. Ich erinnere mich, dass bei unserem Heimspiel gegen Marburg 4000 Zuschauer kamen. Das war auf unserem Hartplatz. Reste der Asche habe ich heute noch unter der Haut.

CC: Was führte Sie dann in die Landeshauptstadt?

BR: Nach einem Jahr stiegen wir mit Burgsolms wieder ab. Man hatte mich in der Hessenliga gesehen und der SV Wiesbaden zeigte Interesse. So blieb ich also in der dritten Liga und pendelte zum Training dreimal in der Woche für drei Jahre von Zuhause nach Wiesbaden und ging ganz normal meiner Arbeit als Fernmeldetechniker nach.

CC: Was verschlägt einen dann vom Mittelrhein an den Niederrhein? Ein ausgeprägtes Scouting im heutigen Sinne gab es ja längst noch nicht und doch haben die Buschtrommeln Ihren Namen zum Bökelberg gebracht.

BR: Günther Klemm, der aus Wiesbaden stammt und in den 1950er und frühen 1960er Jahren beim FSV Frankfurt, 1.FC Köln und Viktoria Köln Stammtorwart war, hatte seinem ehemaligen Trainer Hennes Weisweiler, der gerade bei Mönchengladbach begonnen hatte, gesteckt, dass da in Wiesbaden zwei Talente, Gunter Haas und ich, spielten. Weisweiler und der Geschäftsführer der Borussia haben sich dann das Halbfinalspiel um die deutsche Amateurmeisterschaft in Rüsselsheim zwischen dem SVW und Viktoria 89 Berlin angeschaut. Wir gewannen 6:2 und ich hatte viermal getroffen. Wenig später klingelte das Telefon, ein Gespräch folgte und mein erster Vertrag war perfekt.  

CC: Also ein ganz einfaches Strickmuster. Den Spieler einmal gesehen und schon ist die Laube fertig?

BR: Ja, so in etwa. Aber das Lustige ist. Im Endspiel um die Amateurmeisterschaft in Hagen, das wir gegen Hannover 96 Amateure mit 2:0 verloren haben, hatte ich nicht den besten Tag. Da hat der Geschäftsführer von Gladbach noch mal zugeschaut. Er soll sich danach so geäußert haben: „Da haben wir einen eingekauft!“

CC: Wie ließ sich das in Mönchengladbach an?

Mitglied der sogenannten Fohlenelf

BR: Nun, Gladbach war ja 1964 Zweitligist und hatte sich bei der Gründung der Bundesliga nicht direkt qualifiziert. Ich ging zunächst noch halbtags meinem gelernten Beruf nach und spielte in der Regionalliga West Fußball.

CC: Sie wurden dann Mitglied der sog. Fohlenelf, eigentlich muss man sagen „Urfohlenelf“. Das Attribut „Fohlenelf“ wird bis in alle Ewigkeit der Borussia positiv anhaften. In der Tat waren Günter Netzer (20), Jupp Heynkes (19), Herbert Laumen (21), Bernd Rupp (22) und der blutjunge Werner Waddey (18) im heutigen Sinne U 19 bis U 23. Ihr Torwart Manfred Orzessek (31) oder Albert Jansen (28) z.B. machten den Altersdurchschnitt kaputt.

BR: Ja das stimmt, und ich war bei den Jungen mit 22 noch der Älteste.

CC: Wurde im direkten Umfeld schon davon geschwärmt, dass da eine besondere Mannschaft in den nächsten Jahren heranwachsen würde? 

BR: Darüber haben wir Spieler uns keine Gedanken gemacht. Weisweiler trainierte uns und wir spielten für die Zuschauer begeisternden Fußball.

CC: Die Borussia wurde in den Folgejahren immer stabiler und etablierte sich in der Bundesliga als absolute Spitzenmannschaft. Sie aber zog es nach drei Jahren vom Niederrhein an die Weser. Warum der Wechsel zu Werder Bremen?

BR: Das war ganz einfach. Unser Manager Helmut Grashoff hatte nach dem Aufstieg in die Bundesliga allen durch die Bank einen Zwei-Jahresvertrag gegeben. Der war jetzt abgelaufen. Werder Bremen machte dann ein deutlich besseres Angebot. Und Gladbach kassierte eine gute Ablösesumme. Das Bosman-Urteil gab es ja noch nicht.

CC: Wie ist es Ihnen an der Weser ergangen?

BR: Insgesamt gut. Allerdings habe ich mich auch verletzt. Bei einer Kollision mit dem Keeper Willi Ertz von Borussia Neunkirchen zog ich mir einen Wadenbeinbruch zu. Sportlich war das erfolgreich. Im ersten Jahr wurden wir hinter Nürnberg  Vizemeister.

CC: Und dann ging es wieder in den Westen.

BR: Mein Zwei-Jahresvertrag lief aus. Köln und Gladbach interessierten sich. Für Gladbach war ich offensichtlich zu teuer. Die holten dann mit Ulrik le Fevre aus Dänemark einen finanziell günstigeren Spieler. So landete ich also in Köln.

CC: Wenn man sich erinnert, war der FC ja damals gespickt mit klangvollen Namen: Overath, Weber, Flohe, Cullmann, Löhr usw.

BR: Ja, das waren wirklich gut klingende Namen. Trainer waren Hans Merkle, Ernst Ocwirk, Gyula Lorant und kurz der Speerwerfer Rolf Herings. Ocwirk war ein ausgezeichneter Trainer. Sie werden übrigens lachen: Der wollte Overath und Löhr loswerden.

CC: Warum denn das?

BR: Mit Heinz Flohe, der gerade 22 Jahre alt war, glaubte Ocwirc seinen künftigen hervorragender Spielmacher zu haben. Das war wohl seine Vorstellung.

CC: Zum Glück wurde aus dem abenteuerlichen Plan des Österreichers nichts. Sein Aufenthalt bei den Geißböcken war ja dann auch nur 12 Monate. Overath spielte noch zwei Weltmeisterschaften und wurde 1974 Weltmeister. Löhr war bei der 1970er Weltmeisterschaft in Mexiko sehr erfolgreich und Heinz Flohe war 1974 in drei Spielen dabei. Und Sie, Herr Rupp, hatten auch in der Domstadt Ihren Stammplatz wie überall.

BR: Ja, ich kann mich wirklich nicht beklagen. In den drei Spielzeiten machte ich etwa 100 Pflichtspiele.

CC: Besser geht’s nicht. Mit den Toren hat es auch geklappt?

BR: Das wissen Sie besser als ich.

CC: In der Tat. Ihre Kölner Bilanz weist 46 Treffer aus. Wahrlich nicht schlecht. Mit dem Pokal hatten Sie zu dem Zeitpunkt leider kein Glück.

BR: Richtig. Zweimal mit Köln im Endspiel, zweimal verloren. 1970 gegen Kickers Offenbach, 1971 gegen Bayern München.

CC: 1972 schließt sich dann Ihr Bundesligazirkel. Sie heuerten erneut am Bökelberg an. Von wem ging die Initiative aus?

BR: Hennes Weisweiler hatte unser Viertelfinalspiel gegen Bayern München in der Kölner Radrennbahn gesehen. Beim 5:1 hatte ich zwei Tore erzielt und offensichtlich habe ich ihn so beeindruckt, dass er mich wieder für Gladbach haben wollte. Ich musste ja langsam an meine Zukunft nach dem Profifußball denken. Helmut Grashoff bot mir einen Zwei-Jahresvertrag an. Das war für mich in Ordnung.

CC: Und für die Borussia sicher auch. Immerhin bestritten Sie noch einmal 53 Pflichtspiele. Da kann man nichts sagen. Und 19 Tore zum Abgesang können sich ja auch sehen lassen. – Lassen Sie uns das Thema ein wenig wechseln. Ich habe ein kleines Rätsel für Sie. Wissen Sie, welche Gemeinsamkeit Sie mit Fritz Deike und Herbert Panse haben?

BR: Sind die am selben Tag wie ich geboren?

CC: Daneben getroffen. Ich gebe eine kleine Hilfe. Sie sind mit diesen Herren im 252er Klub.

BR: Keine Ahnung.

CC: Die genannten Herren gehören zu den Spielern, die in der aktuellen Liste der deutschen Nationalspieler ein einziges Mal das Trikot mit dem Bundesadler getragen haben. Nebenbei: Der Frischling unter diesen ist der Schalker Leroy Sané. Und nochmal nebenbei: Deike und Panse hatten 1935 ihren einmaligen Auftritt im Nationaldress. Der eine von Hannover 96, der andere vom Eimsbütteler TV, dem großen Hamburger Verein, dessen Fußballabteilung in den 1930er Jahren seine Goldene Ära hatte. Aber das nur am Rande. Wie war das nun mit Ihnen?

BR: Nach der WM 1966 nominierte mich Helmut Schön für das erste Länderspiel gegen die Türkei in Ankara. Er wollte sicher weitere Stürmer ausprobieren.

CC: Die Annalen teilen mit: 2:0 für Deutschland. 1:0 Hans Küppers (TSV 1860 München), 2:0 Bernd Rupp. Kriegen Sie nach einem halben Jahrhundert die Aufstellung noch hin?

BR: Maier, Heidemann, Weber, Schulz, Höttges, Küppers, Overath, Grabowski Müller, Netzer und meine Wenigkeit.

CC: Tadellos, Herr Rupp. Warum blieb es nur bei einem einzigen Auftritt? Immerhin hatten Sie getroffen und der spätere Bomber der Nation war leer ausgegangen.

BR: Für das folgende Spiel gegen Norwegen in Köln war ich erneut im Aufgebot, saß aber auf der Bank. Im Sturm spielten z.B. für Gerd Müller jetzt Uwe Seeler und an meiner Stelle Sigi Held. Eigentlich sollte ich eine Halbzeit spielen. Dazu kam es nicht.

CC: Also haben Sie diesbezüglich vom Bundestrainer nie wieder etwas gehört?

BR: So ist es. Man muss ja auch festhalten, dass Helmut Schön eine große Auswahl von Stürmern zur Verfügung hatte: Uwe Seeler, Gerd Müller, Bernd Dörfel, Sigi Held, Lothar Ulsaß usw…. Also fast ein Überangebot.  Außerdem: Sie wissen ja, dass Helmut Schön größer als 1,90 Meter war und ich nicht einmal 1,70 Meter. Der mochte so lange Kerle wie Rolf Rüssmann oder Bernd Cullmann lieber als so Kleine wie mich (lacht).

CC: Sind Sie enttäuscht?

BR: Überhaupt nicht.

"Das war tatsächlich ein außergewöhnlicher Fußballtag."

CC: Herr Rupp, der 23. Juni 1973 ist mit dem DFB-Pokalendspiel Borussia Mönchengladbach gegen 1.FC Köln in die Geschichte des deutschen Fußballs eingegangen. Es war ein Spiel, soweit man das überhaupt sagen kann, das kompletten Fußball geboten hat. Alle waren wegen der höchsten Qualität begeistert. Und Sie hatten Anteil daran.

BR: Das war tatsächlich ein außergewöhnlicher Fußballtag. Beide Mannschaften spielten über 120 Minuten bedingungslos offensiv. Die Torhüter Kleff und Welz waren glänzend aufgelegt. Es fielen ja nur drei Tore. Und trotzdem gab es eine hohe Attraktivität.

CC: Dann war da noch diese spektakuläre Geschichte mit Netzers Einwechslung und seinem Tor für die Ewigkeit, dem Treffer zum 2:1.

BR: Richtig, Netzer saß zunächst auf der Bank. Weisweiler hatte die gestandenen Spieler wie Berti Vogts, Rainer Bohnhof oder mich vorher gefragt, ob er ihn in die Startelf nehmen soll. Beim letzten Aufeinandertreffen gegen Köln hatte Heinz Flohe Netzer vollkommen zugedeckt. Dann kam da noch Netzers Wechsel zu Real Madrid dazu. Deswegen hatte der Trainer Zweifel und uns in seine Entscheidung miteinbezogen. Unter uns: Mir war das übrigens recht, dass statt Netzer dann der defensivere Heinz Michalik in der Startelf stand. Hätte Netzer begonnen, wäre zunächst entweder Henning Jensen oder ich in der Offensive geopfert worden.

CC: Netzer hat sich dann tatsächlich, als Köln immer stärker wurde, mit Beginn der Verlängerung selbst eingewechselt, ohne Weisweiler zu fragen.

BR: Ehrlich gesagt, das haben wir in dem Trubel gar nicht so genau mitbekommen. Netzer stand plötzlich auf dem Rasen und schoss schnell das 2:1. Da ist ihm eigentlich der Ball über den Schlappen gerutscht.

CC: Genau, mit seinem zweiten Ballkontakt nach Doppelpass mit Christian Kulik.

BR: Mit Rainer Bohnhof.

CC: Gut, Herr Rupp, ich saß auf der Tribüne, Sie waren auf dem Rasen näher dran. Sie haben Recht. Netzer war ja für den erschöpften Kulik gekommen. - 1974 haben Sie sich dann nach der Vizemeisterschaft hinter Bayern München von der großen Bühne verabschiedet. Mit 32 Jahren für heutige Verhältnisse recht früh.

BR: Das stimmt. Ich stand vor der Frage, wie sollte ich meine Zukunft weiter planen. Noch weiter Fußball spielen oder eine Veränderung vornehmen. Der SV Wiesbaden vermittelte dann eine Betätigung bei der R und V – Versicherung, die ich aufnahm und bis zu meiner Rente dann ausgeübt habe. Zwei Jahre habe ich noch beim SVW in der Oberliga Hessen gespielt.

CC: Und dann war endgültig Schluss mit dem Fußball?

BR: Noch nicht ganz. Es schlossen sich noch zwei Jahre als Spielertrainer in der Bezirksliga bei Raunheim an.

CC: Herr Rupp, wenn Sie heute unter Ihre Karriere mit der zeitlichen Distanz von rund 40 Jahren einen Strich machen, welchen der folgenden Schlüsse würden Sie ziehen? a) Alles richtig gemacht b) Einiges würde ich heute anders machen 

BR: Aus dem Stegreif würde ich da a) sagen. Vielleicht hätte ich noch zwei Jahre nach Amerika gehen können. Hennes Weisweiler hat ja später Cosmos New York trainiert (lacht).   

CC: Besteht noch Kontakt zu früheren Kollegen aus Mönchengladbach und wie sehr nehmen Sie am heutigen Fußballgeschehen teil?

BR: Nach Gladbach fahre ich dann und wann. Wenn ich anrufe, bekomme ich ohne Probleme zwei VIP-Karten. Den Fußball verfolge ich natürlich. Auch der lokale Fußball interessiert mich. Montags lese ich in der Zeitung von A bis Z auch, was sich in den Kreisligen am Wochenende getan hat.  

CC: Herr Rupp, haben Sie herzlichen Dank für das Gespräch. Ich wünsche Ihnen alles Gute und bleiben Sie gesund.