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Verdammt lang her – Der erste Bundesligaskandal gleich in der Geburtssaison

Spieldaten vom 29. Februar 1964

Spieldaten vom 21. März 1964

Wie zwei Heimspiele zu Auswärtsspielen mutierten

Die Fußball-Bundesliga wurde in der Saison 1963/64 aus der Taufe gehoben. Bis dahin gab es in der alten Bundesrepublik (1949-1990) fünf Oberligen. Am Ende der Saison spielten je zwei Qualifikanten aus der Oberliga Nord, West, Südwest, Süd und der sog. Stadtliga Berlin (Westberlin) in zwei Gruppen die Endspielteilnehmer aus. Das Endspiel um die deutsche Meisterschaft wurde an einem jedes Jahr wechselnden Ort ausgetragen. Im Endspiel 1963 besiegte Borussia Dortmund den 1. FC Köln im Stuttgarter Neckarstadion mit 3:1 und ist somit der letzte deutsche Meister, der durch ein Finale ermittelt wurde.

Mit der dann folgenden Spielzeit begann ein neues Kapitel im deutschen Fußball. In damals 16 Klubs spielten fortan,  wie das in Spanien, Italien oder England schon lange der Fall war, Profis – sog. Lizenzspieler – in der neu gegründeten Bundesliga um die Meisterschale, die sog. „Salatschüssel“. Sie ist bis heute die begehrteste Auszeichnung. Die Namen der Meister zieren die Schale. Der meiste „Salat“ wird – das weiß jeder, der nur annähernd im Fußball firm ist – in der bayerischen Hauptstadt München angerührt. Der FC Bayern hat offensichtlich die Exklusivrechte an der Trophäe erworben.

Die erste Besonderheit in der neuen Edelklasse ließ nicht lange auf sich warten. Gleich in der Premierensaison kam es zu einem Skandal, der allerdings unter die Rubrik „harmlos“ einzustufen ist. Aber einer gewissen Kuriosität entbehrt er nicht. Später folgten viel „deftigere“. Beispielsweise der Skandal, den ein legendärer Obsthändler namens Horst-Gregorio Canellas  auf der Party zu seinem 50. Geburtstag vor hochrangigen DFB-Bossen durch einen ebenso legendären Tonbandmitschnitt eines Telefonates in Fluss brachte. Unsere heutige Rückerinnerung ist dagegen eine Nummer kleiner. Der Chronist dieses Beitrags war im uralten Köln-Müngersdorfer Stadion als Zeitzeuge dabei.

Was war geschehen? Am 29. Februar 1964 – man schrieb also ein Schaltjahr – war die Frankfurter Eintracht zum Bundesligaspiel gegen die Geißbockelf am Rhein zu Gast. Für die junggebliebenen Experten spielten in beiden Teams klangvolle Namen, die bei den nachfolgenden Generationen größtenteils in Vergessenheit geraten sind. So ist das nun einmal im Leben. Beim Spielstand von 1:0 für den baldigen ersten Bundesligameister 1. FC Köln brannten bei dem Kölner Mittelstürmer Christian Müller, dem langjährigen Goalgetter der Rheinländer, die Sicherungen durch. In der 51. Minute wechselte Müller für einen Augenblick die Sportart und schlug am Boden liegend seinem Frankfurter Kontrahenten Dieter Stinka einfach mal so ins Gesicht. Der tüchtige Referee Herbert Lutz entschied folgerichtig mit entsprechendem Fingerzeig („Da geht’s raus“) auf Platzverweis – die rote Karte war noch ein Fremdwort. Bis zehn Minuten vor Abpfiff konnten 10 wackere Geißböcke den knappen Vorsprung halten. Dann erzielte der feine österreichische internationale Willi Huberts den 1:1-Ausgleich für die Adlerträger. Das war der Endstand.

Offensichtlich war ein Teil des Kölner Anhangs mit dem Feldverweis und dem später folgenden Remis nicht einverstanden. Die kaum einen Meter hohe rot-weiß gefärbte Mauer, die das Spielfeld von den Rängen trennte, war schnell übersprungen und so gab es nach dem Schlusspfiff ein Stelldichein von etlichen gewaltbereiten Rowdies vor der Haupttribüne. Die Annalen des Kölner Renommierklubs vermerken: “Es kam zu derben Beleidigungen und Tätlichkeiten, sowohl gegen Gästespieler, als auch gegen den Referee.“ Der bemitleidenswerte Schiedsrichter Lutz, der nach Müllers Tätlichkeit doch nur konsequent die Regeln angewandt hatte, wurde überdies noch mit einer Fahnenstange am Kopf „bearbeitet“. Polizeieinsatz beendete bald das Spektakel. Der Verfasser dieses Artikels, damals ein begeisterter Teenager, stand auf Stehplatz Mitte auf der Gegentribüne und beobachtete den Tumult aus sicherer Entfernung.

DFB verhängt Strafe gegen den 1. FC Köln

Jetzt war das DFB-Sportgericht gefragt. Das fackelte nicht lange, bestrafte die Elf vom Geißbockheim mit einem Platzverbot für zwei nationale Spiele und 2000 DM Geldstrafe. Das wäre heute etwas für die Portokasse. Damals war der Stundenlohn eines Arbeitnehmers ca. 2,50 DM. Ein Lizenzspieler durfte laut Statuten lediglich 1.200 DM mtl. verdienen. Dazu die Siegprämien. Was für einen Spitzenspieler schwarz floss, darüber schweigt des Sängers Höflichkeit. Die Strafe des DFB war kurios: „Mindestens 50 Kilometzer entfernt musste das gesperrte Heimspiel am 21. März stattfinden“, so weiter im FC-Geschichtsbuch. Bundesligastaffelleiter Walter Baresel hatte übrigens eigenständig bereits Wuppertal ausgewählt. So bewegte sich im zeitigen Frühjahr 1964 eine wahre Karawane in Rot und Weiß ins Bergische Land. Das Team um Kapitän Hans Schäfer, den Weltmeister von 1954, Wolfgang Weber (1), den Vizeweltmeister von 1966, und Wolfgang Overath, ebenfalls Vizeweltmeister 1966 sowie Weltmeister 1974, ließ auf dem Marsch zur ersten deutschen Bundesligameisterschaft den Löwen von Eintracht Braunschweig beim 4:1 im „Stadion am Zoo“ vor 24.000 Zuschauern nicht den Hauch einer Chance. Das zweite „gesperrte Heimspiel“ bestritten die Geißböcke dann am 8. April 1964 in der ersten Finalrunde des DFB-Pokals. Im Düsseldorfer Rheinstadion waren 18.000 Zuschauer dabei, als die Elf von Trainer Georg Knöpfle den 1. FC Nürnberg – wenn auch erst nach Verlängerung – mit 3:2 ins Frankenland zurückschickte. Am Ende der Saison konnte Kapitän Hans Schäfer die Meisterschale in den Himmel strecken. Die Mannschaft aus der Domstadt hatte die zweite von bis dato drei deutschen Meisterschaften errungen. Heute, im Jahr 2021 dürften die Fans in Köln feuchte Augen bekommen, wenn sie an diese Zeiten zurückdenken.


Hier noch ein kleiner Ausschnitt aus damaligen Tagen - verpackt in einer schönen und kurzen Berichterstattung:
https://www.youtube.com/watch?v=rqpoK0iMAek

 

Wolfgang Weber hat dankenswerterweise dem Chronisten Material aus dem Archiv des 1. FC Köln zugesandt.